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Die Reise ins Licht

Die Reise ins Licht

Titel: Die Reise ins Licht
Autoren: Andrej Djakow
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»Stummel« waren ein Clan halbwilder, degenerierter Menschen, die in einem unterirdischen Museum unweit der Moskowskaja hausten. »Aus der Haut machen wir Stiefel. Und an Fleisch kommt da bestimmt ein Doppelzentner zusammen. Na, was sagst du, Großvater: Dieser ›Messerschmitt‹ wird nie mehr fliegen!«
    »Bedank dich dafür bei Taran. Und hör auf herumzufaseln! « Der Alte warf ein neues Holzscheit ins Feuer und wandte sich dem Stalker zu: »Wir danken dir, guter Mann, für deine Hilfe. Ohne Expeditionen an die Oberfläche kämen wir, wie du weißt, nicht zurande. Holz ist derzeit im Handel nicht zu bekommen, da müssen wir eben hin und wieder unsere Nasen raus stecken …«
    Der Stalker kaute langsam sein Essen und starrte ins Feuer.
    »Wenja Jefimtschuk haben wir wegen dieser abscheulichen Kreatur verloren. Das war ein Mensch!« Offensichtlich war der alte Palytsch in der Stimmung, um in Erinnerungen zu schwelgen, doch die gemütliche Atmosphäre verflüchtigte sich schnell, als der hagere Stationsvorsteher Nikanor an die Feuerstelle trat.
    »Wie abgemacht«, sagte er spröde und stellte einen dicken Sack zu den Füßen des Stalkers ab.
    Taran band ohne Hast den straffen Knoten auf und kippte den Inhalt nachlässig auf den Betonboden. Tabletten, Fläschchen und Verbandsrollen türmten sich zu einem bunten Haufen, aus dem der Stalker pedantisch einiges aussortierte
und zur Seite schob. Nachdem er weniger als eine Minute darin herumgewühlt hatte, packte er den größten Teil der Medikamente wieder in den Sack, erhob sich und warf ihn sich auf den Rücken.
    »Hör mal, Taran …« Der Alte wagte es nicht, dem Stalker in die Augen zu blicken. Einige Sekunden lang druckste er herum, dann seufzte er tief. »Das da sind fast alle Medikamente, die uns geblieben sind. Vielleicht können wir dich auch mit Essen bezahlen … oder mit was anderem?«
    Nikanor stand reglos da. Nur die Knoten in seinem Gesicht traten jetzt noch stärker hervor.
    »Holt’s euch doch bei den ›Stummeln‹«, erwiderte Taran barsch. Er warf ein paar Patronen für Kost und Logis in den geleerten Napf, ergriff sein Gewehr und verließ die Station.
    Palytsch schlug fassungslos die Hände zusammen, Nikanor aber spuckte wütend vor seine Füße. Sein zorniger Blick blieb an Gleb hängen.
    »Was glotzt du so, Nichtsnutz! Oder bist du mit deiner Arbeit für heute schon fertig? Dann kriegst du gleich noch was!«
    Gleb stürzte auf den Eingang eines Nebenraums zu, um möglichst schnell aus den Augen des tobenden Vorstehers zu verschwinden. Er hetzte durch den engen Korridor, griff sich eine Schaufel von der Wand, sprang in die Einheitsstiefel, die von einer eingetrockneten Schmutzkruste überzogen waren, und kroch wie gewohnt in die Kloake hinunter. Von all der Aufregung und der Begegnung mit diesem furchtbaren Stalker schüttelte es den Jungen noch immer.
    Fremden Dreck zu entsorgen war doch wesentlich vertrauter und ruhiger.

     
     
    »Hallo! Hallo!«, brüllte Nikanor mit sich überschlagender Stimme in den Telefonhörer. Die Verbindung zur »Technoloschka« Ref. 6 – so nannten sie die Metrostation bei der Technischen Universität – war mies wie immer. Von weitem drang manchmal eine Stimme durch die rasselnden Störgeräusche, aber der Stationsvorsteher konnte nicht einmal die Hälfte der Wörter verstehen.
    »Ich wiederhole! Sie müssen hier an der Moskowskaja mit ihm sprechen. Er ist stur wie ein Ochse.« Nikanor lauschte angespannt in den Hörer, dann nickte er energisch mit dem Kopf. »Ja, ja! Schicken Sie sie los. Ich gebe der Patrouille Bescheid. Wir werden sie erwarten.«
    Nikanor warf den Hörer auf die Gabel, ließ sich in den verschlissenen Sessel fallen und zündete sich eine Selbstgedrehte an. Das Telefon war wahrscheinlich das einzige noch verbliebene Zeichen von Zivilisation an der Moskowskaja . Wobei nicht einmal sie selbst das Kabel verlegt hatten, sondern die Masuten – die »Heizöl-Leute«. Diese lieferten auch den Strom für die wenigen armseligen Lämpchen, die die Station kärglich beleuchteten. Für das Licht verlangten sie einen Wucherpreis, was sie beim Volk nicht gerade beliebt machte. Nikanor konnte diese hinterhältigen Missgeburten nicht ausstehen, aber auch nichts gegen sie machen.
    Er drückte den Zigarettenstummel aus und stand vom Tisch auf. Es war an der Zeit, sich um den Empfang der angekündigten Gäste zu kümmern.
     
     
    Klack. Klack. Klack. Das Geräusch des auf- und zuklappenden Zippos bezauberte
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