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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
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machen können, unterwegs genug Sprit aufzutreiben …«
    »Richtig. Es wäre albern, darauf zu hoffen.«
    »Aber wir fahren doch trotzdem …«
    Der Stalker schaute den Jungen verständnislos an.
    »Ich meine, warum fahren wir dann?«, bohrte Gleb nach. »Der Heide ist davon überzeugt, dass das eine Reise ohne Rückfahrkarte wird. Was ist, wenn er recht hat und die Stadt schon lange nicht mehr existiert?«
    »Wenn wir hier sitzen bleiben, werden wir es nie erfahren. Die Frage ist nur, wie sehr dir daran gelegen ist, es herauszufinden.«
    »Aber darf man denn andere in Gefahr bringen, nur weil man … einem Traum nachhängt?«
    »Weißt du … Es geht hier nicht um einen Traum. Und schon gar nicht um Wladiwostok. Man könnte genauso gut irgendeinen anderen Ort auf dem Erdball aussuchen.« Tarans Miene verdüsterte sich. Er starrte auf die Tischplatte. »Die Metro macht es nicht mehr lang. Die Stationen entvölkern sich zusehends. Wir sterben aus, Gleb. Und wenn man dagegen etwas unternehmen will, dann muss man es jetzt tun. In ein paar Jahren wird es niemanden mehr geben, den man retten könnte.«
    »Aber vielleicht sollten wir uns ein Ziel aussuchen, das nicht so weit entfernt liegt?«
    »Das Ziel ist zweitrangig. Die Expedition als solche ist wichtig. Wir werden ja sehen, wie weit wir kommen. Entscheidend ist, dass wir nach unversehrtem Land und nach Überlebenden suchen. Die Militärs können ja auch nicht spurlos verschwunden sein.«
    Über einer unregelmäßigen Linie, die das Uralgebirge markierte, hatte der Stalker ein dickes Fragezeichen gemalt. Hoffte er etwa, dort oben jemanden zu finden? Oder gar im Inneren der Berge?
    »Und wenn wir tatsächlich Glück haben, was dann? Den Wohnort kann man wechseln, aber die Bewohner bleiben dieselben. Wer garantiert uns, dass nicht wieder ein Pachom auftaucht, der alles zerstört?«
    »Eine solche Garantie gibt es nicht. Es liegt im Wesen des Menschen, Fehler zu machen. Genau wie es ihm gegeben ist, aus seinen Fehlern zu lernen und klüger zu werden.«
    »Nur dass bei diesem Lernprozess manchmal viel zu viel kaputt geht. Meinst du, wir haben überhaupt noch mal eine Chance verdient?«
    »Ich weiß es nicht, Gleb. Ich weiß es nicht … Aber eins ist sicher: Wenn man den Menschen diese Chance nicht gibt, werden sie sich nicht zum Besseren ändern. Seinerzeit war die Metro für viele die Rettung. Jetzt bringt sie uns langsam, aber sicher um. Wir verkriechen uns schon so viele Jahre unter der Erde, dass wir uns ein Leben ohne Tunnel, beengte Stationen und schlechte Luft kaum mehr vorstellen können. Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Lichtmangel die Menschen so verändert. Er bringt sie um den Verstand. Wie ließe sich sonst erklären, dass die Leute es erstrebenswert finden, in dunklen Löchern zu hausen, und sich einen Dreck dafür interessieren, was an der Oberfläche vor sich geht, in den Nachbarstädten, in der Welt.«
    Der Junge versank in Gedanken. Er erinnerte sich an das Gespräch mit dem exzentrischen Rope Jumper.
    »Als ich am Großen Spalt war, habe ich einen komischen Typen getroffen. Er heißt Psycho. Er hat behauptet, es sei das Normalste auf der Welt, dass wir immer noch im Untergrund leben. Das Problem seien gar nicht die Strahlung oder die Bestien, sondern ein unterbewusster Hang zur Finsternis. Wir würden einfach wieder dorthin zurückkehren, wo wir hergekommen sind. In die Dunkelheit des Nichts …«
    »Psycho, sagst du? Klar, von dem habe ich gehört.« Der Stalker nickte. »Wer weiß, vielleicht ist er normaler als wir alle zusammen.«
    »Wieso?«
    »Weil ihm im Unterschied zu den anderen bewusst ist, dass er krank ist. Die vergiftete Umwelt, die Bestien, der Hunger – das sind nur äußerliche Facetten der Dunkelheit. Damit umzugehen haben wir einigermaßen gelernt. Die eigentliche Dunkelheit ist aber in uns. Sie steckt in unseren Köpfen. Und sie da wieder rauszubekommen, ist viel schwieriger.«
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ANMERKUNGEN
    Moschtschny
    Wörtlich »Die Mächtige«, eine Insel im Finnischen Meerbusen, etwa 120 Kilometer westlich von St. Petersburg gelegen. Bis zum Sowjetisch-Finnischen Winterkrieg 1939/40 gehörte sie zu Finnland.
    Braga
    Selbstgebrautes alkoholisches Getränk, bei dessen Herstellung verschiedenste Zutaten wie Zucker und Mehl vergoren werden.
    Maly
    Wörtlich bedeutet Ostrow Maly »kleine Insel«. Sie gehört zu der Inselgruppe um die Insel Moschtschny.
    Piter
    Kurzname für Sankt Petersburg.
    Moskowiter
    Gemeint
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