Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Regeln der Arbeit

Die Regeln der Arbeit

Titel: Die Regeln der Arbeit
Autoren: Richard Templar
Vom Netzwerk:
wurde so untragbar, dass ich eines Abends beschloss, da zu bleiben und auf diesen Harry zu warten.
    Harry tauchte bei uns gar nicht auf, ich ging hinunter in die andere Abteilung. Da saß Harry und trank gemütlich Kaffee mit dem großen Boss, meinem Regionalleiter. Wutschnaubend riss ich die Tür auf und schrie ihn an: „Was, zum Teufel, fällt Dir ein? Ich brauche Dich bei uns oben, da gibt's jede Menge zu tun, und nicht hier beim Kaffeetrinken!"

    Ein schwerer Fehler, den ich da machte, und nicht bloß einer:
    Schimpfen Sie niemanden aus, der in seiner offiziellen Kaffeepause Kaffee trinkt.
    Schimpfen Sie niemanden aus, der Kaffee trinkt, statt zu arbeiten, weil er von seinem Regionalleiter dazu eingeladen wurde.
    Schimpfen Sie niemanden in Gegenwart Ihres Regionalleiters aus, ohne zuerst die wichtigsten Fakten mit ihm unter vier Augen zu klären.
    Machen Sie es richtig und korrekt. Halten Sie den Dienstweg ein und lauern Sie einem zeitweise abwesenden Mitarbeiter nicht auf, um ihn zu ertappen.
    Erkennen Sie erst einmal, wer zählt - in diesem Fall war es nämlich Harry selbst.
    Warum es ausgerechnet Harry war, der den Ton angab? Weil niemand anderer als er der Schwiegervater meines Regionalleiters war. Er hatte die Macht und den Einfluss, von denen ich nur träumen konnte. Er arbeitete für das andere Büro, weil sein Schwiegersohn ihn darum gebeten hatte. Wie gesagt, es war ein grober Schnitzer von mir.
    Ich habe für Unternehmen gearbeitet, in denen mal der Kassier, mal der Fahrer des Generaldirektors, mal der Buchhalter oder der Chef der Kantine das Sagen hatten. In jedem Fall brauchte ich erst eine Weile, bis ich dahinter kam, wer es war. Sie alle hatten irgendeine Trumpfkarte in der Hand, die ihnen entweder den direkten Zugang zu einem höheren Boss verschaffte, oder er war von ihnen abhängig, zum Beispiel dadurch, dass sie miteinander verwandt waren. Also: Finden Sie heraus, wer bei Ihnen im Betrieb die Hosen anhat.

     

Wie gut, glauben Sie, war mein Verhältnis zu Harry nach meinem Wutausbruch? Es war zuvor schon nicht besonders gut gewesen, jetzt war es natürlich noch erheblich schlechter. Meinen Sie, dass er in unserer Abteilung fortan auch nur eine Glühbirne austauschte? Keine einzige, weder an diesem Abend noch später. Es reicht nicht, die einflussreichen Leute zu erkennen, man muss auch auf ihrer Seite stehen.
    Ich habe einmal mit einem Rechnungsprüfer zu tun gehabt, der furchtbar kleinkariert war. Alles musste streng nach Vorschrift gehen. Keinen i-Punkt, keinen t-Strich durfte man vergessen. Verglichen mit diesem Zerberus war selbst Attila, der Hunnenkönig, ein netter alter Opa. Aber er war der Mann mit Einfluss. Er war nicht nur Rechnungs- und Bilanzprüfer, sondern sein Einfluss ging weit über diese seine Funktionen hinaus. Er war der Mann, vor dem selbst das Management kuschte, dem es zuhörte, bei dem es Rat suchte, dem es nicht zu widersprechen wagte, derjenige, den jeder fürchtete und wie einen König behandelte.
    Ich bekam nie so ganz heraus, warum er so viel Macht erlangte, aber ich musste mich mit ihm arrangieren. Sobald ich seine wahre Bedeutung erkannt hatte, musste ich versuchen, mich bei ihm lieb Kind zu machen. Bis dahin hatte ich es nicht getan. Da ich im Hause der Leiter der Finanzabteilung war, stand ich unter seiner ständigen und unerbittlichen Aufsicht.
    Bis hierhin hatte ich ihn fast nur genervt. Wir standen ja offiziell nicht auf einer Stufe, sondern er war Buchhalter und ich der Leiter der Finanzabtei lung - ein ziemlich großer Unterschied. Meine Aufgabe war es, Sicherheitssysteme zu installieren, den Cashflow zu optimieren, die Ausgaben zu kürzen und alle steuerrechtlichen Dinge im Auge zu behalten; sein Auftrag war es, alles auf Heller und Pfennig zu prüfen.

    Eines Tages, es war ein Samstag, ging ich mit meinen Kindern zu einem Wohltätigkeitsbasar. Es war Herbst, und mirwar kalt, daher kaufte ich mir an Ort und Stelle einen College-Schal, so einen dunklen Schal mit Streifenmuster. Eines Montags hatte ich ihn auch in der Arbeit an. Zufällig lief ich dem Rechnungsprüfer über den Weg. Er meinte: „Ich wusste gar nicht, dass Sie an der Uni von Manchester waren!' Das war alles.
    Ich kam erst gar nicht darauf, was er wohl meinte, aber irgendwann dämmerte es mir, dass er wohl diesen Schal von der Universität von Manchester gesehen hatte. Zufällig war es die Universität, an der er studiert hatte (nein, ich hatte dort nicht studiert, ich hatte überhaupt nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher