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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes
Autoren: Michel Folco
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wäre, wenn es Ihn gar nicht gegeben hätte. Es war eine merkwürdige Zeit.
    Das herrschende System war feudalistisch und aus einer dauernden Unsicherheit heraus entstanden, die die Schwächsten dazu trieb, sich unter den Schutz der Stärksten zu stellen. Um ihre Position zu halten, waren diese natürlich daran interessiert, möglichst viele Vasallen unter ihrem Banner zu sammeln. Einige, darunter Raimond III., Graf von Rodez, boten jedem Ritter, der ihnen den Treueeid leistete, ein Leben auf Lebenszeit. Ritter war, wer ein Pferd, einen Harnisch, ein Schild und ein Schwert besaß und damit umzugehen verstand. Azémard Boutefeux, ein junger Edelmann ohne Zukunft aus Guiraud und Brandschatzer beim Bannerherrn von Roumdgoux, erfüllte diese Bedingungen. Von einem Cousin, der ihm als Knappe diente, begleitet, ritt er nach Rodez, kniete vor dem mächtigen Grafen Raimond nieder, küßte ihm die Füße und die Sporen und sagte:
    » Ich gelobe Euch Treue, Hilfe und Beistand, und Ihr versichert mir dafür, daß ich mein Auskommen habe.«
     
    Worauf der Graf ihm höflich auf die Beine half und feierlich erwiderte:
    » Ich schlage ein. Ich verpflichte mich, dich zu beschützen, dich und deinen künftigen Besitz, aber du wirst für mich arbeiten und mir untertan sein.«
    Da sie sich nun geeinigt hatten, reichte der Graf ihm eine Handvoll Erde, die das künftige Lehen symbolisierte, außerdem ein Schriftstück, das ihn ermächtigte, dort eine Freistatt, die allen Flüchtigen Zuflucht gewähren sollte, zu errichten. Damit sollte die Besiedelung erleichtert werden.
    Als Azémard Rodez verließ, um sein Lehen in Besitz zu nehmen, begleiteten ihn an die zwanzig Bauern - freigelassene Leibeigene, die sich von den Privilegien, die das Statut der Freistatt bot, hatten locken lassen. Als sie an Ort und Stelle kamen, gab es dort nichts außer einem Dolmen, der gelegentlich des Nachts Pilgern als Unterschlupf diente, oder den seltenen Wanderern, die es noch wagten, auf diesen wilden und gefährlichen Wegen zu reisen.
    »Allmächtiger, voilà une belle rocaille - was für ein schönes Felsgestein! « rief Azémard, als er die Bergspitze aus Vulkangestein erblickte, die die Gegend beherrschte.
     
    Er erklomm den Gipfel und betrachtete lange und mit Genugtuung die Aussicht. All das würde von nun an ihm gehören.
    Er beschloß, sich vorübergehend in einer der Höhlen häuslich niederzulassen, von denen es auf der Bergspitze mehr als genug gab. Als seine Leute anfingen, die Höhle auszuräuchern, um Hunderte von Fledermäusen daraus zu vertreiben, nutzte er die Gelegenheit, um auf sein Pferd zu steigen und über seinen ganzen Besitz zu reiten.
    Mehrere Tage lang erfaßte er das Gelände, das man als Ackerland nutzen konnte, und teilte es in kleine Landgüter zu je fünf Hektar auf. Diese gab er anschließend an seine Bauern aus und behielt sich, wie es Brauch war, von jedem Gut genau die Hälfte des Ertrags vor. Die Begünstigten verpflichteten sich, dieses Land genauso wie ihren Teil zu bestellen und ihm pünktlich die Ernte abzuliefern. Darüber hinaus mußten sie zahlreiche andere Frondienste übernehmen, wie zum Beispiel den Bau einer Burg aus Holz oben auf
    der Felskuppe. Zum Ausgleich erließ Azémard ihnen die Steuer und diverse Abgaben an den Lehnsherrn. Er gestattete ihnen auch, im Todesfall ihren Anteil an dem Gut dem ältesten Sohn zu vererben. Wenn sie keinen hatten, fiel das Land an Az6mard zurück, und er konnte es neu verteilen.
    Allmählich ging das Leben seinen geordneten Gang. Während ihr Lehnsherr seine Tage der Jagd widmete, entfernten die Bauern oben auf der Bergspitze das Gestrüpp und umgaben sie mit einer zweifachen Palisade aus Pfählen, deren Spitzen im Feuer gehärtet worden waren. Dann errichteten sie aus Holz einen Donjon von vierzehn Metern, der von einer Scheune und einem Pferdestall flankiert wurde.
    Der Raum zwischen Berggipfel und Flußwindung wurde gerodet und in Parzellen aufgeteilt, auf denen jeder Bauer sich ein fensterloses Haus mit einem Strohdach und Mauern aus Lehm baute. Diese Lehmhäuser bildeten, dicht beieinander stehend, die erste Verteidigungslinie der Burg.
    Es sprach sich schnell herum, daß an den Ufern des Dourdou eine neue Freistatt entstanden war, und Bauern, die mit ihren Lehnsherren unzufrieden oder mit hohen Abgaben belastet waren, zog es nach Bellerocaille (wie man von nun an die Gegend nannte), um dort um Zuflucht zu bitten. Das Statut der Freistatt garantierte dieses
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