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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes
Autoren: Michel Folco
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lehnsherrlichen Kerker sperrte.
    Die unheilvolle Anziehungskraft seines sonderbaren Verbrechens reichte weit über die Grenzen des Marktfleckens hinaus. Man kam aus Rodez, aus Millau, aber auch aus Villefranche und sogar von noch viel weiter her. Bald waren alle Herbergen belegt.
    Die ersten Verzögerungen ergaben sich, als der Seneschall von Sallay, ein Vertreter der Gerichtsbarkeit des Königs, dem lehnsherrlichen Richter Cressayet, der dem Baron unterstand, die Sache unter dem Vorwand entziehen wollte, daß eine Angelegenheit von dieser Wichtigkeit angeblich nicht in seinen Zuständigkeitsbereich falle. Er bekam von Baron Raoul, der diesbezüglich äußerst kleinlich war, eine schroffe Absage.
    Da der Baron argwöhnte, daß der königliche Beamte es dabei nicht bewenden lassen würde, beschleunigte er das Verfahren. Galine wurde am übernächsten Tag vor seinem Gericht der Prozeß gemacht, und das Urteil, das er dem Richter vorgegeben hatte, trug der Entrüstung des Volkes Rechnung: Pierre Galine sollte bei lebendigem Leibe gerädert und anschließend zur Schau gestellt werden, bis der Tod eintrat. Die zahlreich erschienenen Zuhörer hatten das Urteil mit Beifall begrüßt.
     
    Als nun die Strafe vollstreckt werden sollte, ergaben sich neue Schwierigkeiten.
    Zwei Jahrhunderte zuvor hatte König Charles VII. - bestrebt, Ordnung in die über dreihundertsechzig Strafgesetzbücher zu bringen, die im Königreich in Umlauf waren eine Verordnung mit einhunderfünfundzwanzig Artikeln erlassen. Einer dieser Artikel nun untersagte es den Richtern, ihr Urteil selbst zu vollstrecken, wie es in vielen Provinzen durchaus noch üblich war. Der Beruf des Henkers war aus diesem Artikel hervorgegangen. Baron Boutefeux hatte sich nie entschließen können, einen Scharfrichter zu unterhalten, obwohl er durch ein Dekret des Königs dazu ermächtigt war, den Titel eines Gerichtsherrn zu führen, der es ihm auch gestattete, hohe Strafen zu verhängen. Wenn es erforderlich war, wie jetzt in diesem bestimmten Fall, wandte er sich an Maître Pradel, den Fleischer von Rodez, der darüber hinaus auch Scharfrichter für den Grafen und Bischof von Rodez war.
    Ein Bote brach am späten Vormittag auf und ritt die elf Meilen, die den Marktflecken von der Stadt trennten, in sechs Stunden. Als er am nächsten Tag nach Bellerocaille zurückkehrte, war er allein.
    »Maître Pradel ist unabkömmlich. Er hat das Zipperlein und kann sich nicht rühren. Ich habe nach seinem Knecht verlangt, aber der ist nicht befugt, ihn zu vertreten.«
    Blieben noch Maître Sylvain, der Scharfrichter der Albigenser, und Maître Cartagigue aus Millau. Der Letztgenannte wohnte zwar näher, war aber übermäßig teuer. Also schickte der Prévôt seinen Boten nach Albi.
    Der Mann galoppierte durch den Wald von Ribaudins, als ihn ein Strick, der an einer Wegkrümmung gespannt war, zu Fall brachte. Glücklicherweise wurde er ohnmächtig und so sah er nicht die Räuber, die sich anpirschten und ihm die Kehle durchschnitten. Nachdem sie ihn all seiner Sachen beraubt hatten, zerrten sie seinen nackten Leichnam ins Gebüsch, wo ihn ein paar Stunden später die Wölfe entdeckten und mit großem Appetit verspeisten.
     
    Fünf Tage vergingen, ehe der Baron sich entschloß, seinen Rat einzuberufen. Widerwillig lud er dazu auch den Seneschall ein.
    »Ich weiß nicht, was unserem Boten widerfahren ist, aber wir haben nicht mehr die Zeit, einen anderen zu schicken«, sagte der Prévôt Henri de Foulques. »Unser Marktflecken ist voller Menschen. Diejenigen, die zur Verhandlung gekommen sind, sind noch nicht wieder abgereist und warten auf die Hinrichtung. Die Gemüter erhitzen sich, und es gehen Gerüchte um.«
    »Gerüchte? Was für Gerüchte?«
    »Man munkelt, daß der Verurteilte hohen Schutz genießt und niemals gerädert werden wird. Baron Raoul runzelte unter der gepuderten Krücke seine flache Stirn. Seine dunklen Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, funkelten boshaft.
    Für ihn bestand kein Zweifel daran, daß Verleumdung ebenso schlimme Folgen für den Geist hatte wie ein Gift für den Körper. Ja, sie war sogar noch schlimmer, denn es war doch wesentlich einfacher, irgend etwas herumzuerzählen, das einen ehrenwerten Mann vernichtete, als ihm eine tödliche Dosis einzuverleiben. In Anbetracht der Tatsache, daß es kein wirksames Mittel gegen Verleumdung gab, dagegen aber sehr wohl etliche wirksame Gegengifte, meinte der Baron:
    »Findet heraus, wer diese Lästermäuler
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