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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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See.
    Die Walshs stiegen vom Ben of Howth hinab und begannen den Heimritt nach Westen, über die alte Ebene der Vogelscharen. Hinter dem weit entfernten Hügel von Tara war die Sonne untergegangen, aber hier war der Himmel immer noch hell. Der nördliche Horizont leuchtete strahlend, und die Landschaft war noch deutlich zu erkennen. Sie waren noch ein gutes Stück Wegs von ihrem Heim entfernt, als sie, etwa eine halbe Meile vor ihnen, zwei Gestalten ausmachten, die von Norden die Straße in Richtung Dublin entlang ritten. Der unförmige Nachzügler, der ein Lastpferd führte, war zweifelsohne ein Diener. Aber der Mann, der voraus ritt, stach sofort ins Auge. In dieser Entfernung und in der hereinbrechenden Dämmerung wirkte sein großer, magerer, leicht vorgebeugter Körper wie ein Stock. Oder – da er sich stetig vorwärts bewegte – wie eine einzelne Schreibfeder, die eine tintenschwarze Linie über das Land zog.
    Orlando war so versunken in diesen merkwürdigen Anblick, dass er den unterdrückten Fluch seines Vaters kaum hörte und gar nicht merkte, dass er anhalten sollte, bis Lawrence ihn am Arm packte und zurückhielt.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    »Ein Mann, dem du nicht begegnen willst.« Die Stimme seines Vaters war sehr leise.
    »Ein Protestant.« Lawrences Ton nach zu urteilen hätte es auch der Teufel persönlich sein können.
    Schweigend beobachteten sie, wie die zaundürre Gestalt die menschenleere Ebene überquerte, offenbar ohne sie zu bemerken.
    »Das«, sagte Orlandos Vater schließlich, »ist Doktor Pincher.«
    * **
    Am Morgen desselben Tages war Doktor Pincher um den Erdhügel ge ritten, der am Hang über dem Fluss Boyne lag. Wie so viele andere, die vor ihm diesem Weg gefolgt waren, hatte auch er nach unten geblickt, wo die Schwäne majestätisch über die Wasser des Boyne glitten. Und auch ihm war aufgefallen, wie ruhig und friedlich es hier war. Er hatte auf die riesigen, grasbedeckten Erdhügel gestarrt, die sich wie schweigende Riesen entlang des kleinen Hügelkamms erhoben, und sich dabei gefragt, was es mit ihnen auf sich hatte und wie sie dorthin gelangt waren. Hätte ihn jemand darüber aufgeklärt, dass die uralten Hügel früher Gräber gewesen waren, die nach präzisen astronomischen Berechnungen erbaut worden waren, so hätte ihn das in Erstaunen versetzt. Hätte ein Einheimischer ihm weiter erklärt, dass unter diesen Erdhügeln die hell erleuchteten Hallen der Tuatha De Danaan lagen, der großen Krieger und Handwerker, die das Land vor dem Einfall der keltischen Stämme regiert hatten, so hätte Simeon Pincher nur verächtlich geschnaubt. Aber ihm fiel auf, dass vor dem größten Hügel viele weiße Quarzsteine verteilt lagen, und er fragte sich, ob diese vielleicht wertvoll seien.
    Während er den Boyne überquerte und sich im Laufe des Morgens in Richtung Süden fortbewegte, dachte er über Vieles nach. Er hatte gerade einige interessante Tage in Ulster verbracht. So sehr beschäftigten ihn seine Erlebnisse, dass er den ganzen Morgen und den ganzen Nachmittag lang kein einziges Wort an seinen Diener richtete, nicht einmal, als sie rasteten, um eine Mahlzeit einzunehmen.
    Er lebte nun seit zehn Jahren in Irland und seine Einstellung gegenüber den Iren hatte sich nicht verändert. König Jakob I. brachte es auf den Punkt, wenn er die keltischen Katholiken Irlands als wilde Tiere bezeichnete.
    Einige mochten die Meinung des Königs vielleicht als seltsam empfinden – schließlich war seine eigene Mutter, Königin Maria von Schottland, überzeugte Katholikin gewesen, und die schottischen Lords stammten von irischen Stämmen ab. Aber da der neue Stuart-Monarch von Gott selbst auserwählt und außerdem ein gelehrter Mann war, konnte niemand an der Richtigkeit seines Urteils zweifeln. Und was die irische Regierungsfrage anging, so bewiesen die wiederholten Versuche der Iren, sich der Kontrolle Englands zu entziehen, doch zweifelsfrei, dass sie völlig unfähig waren, sich selbst zu regieren.
    Als Doktor Pincher die Ebene der Vogelscharen überquerte, sah er aus den Augenwinkeln die Familie Walsh. Aber er tat so, als hätte er sie nicht bemerkt.
    Trotz seiner Einstellung den Iren gegenüber war Pincher mit seiner Lehrtätigkeit an der neu gegründeten Hochschule sehr zufrieden. Trinity College war fest in protestantischer Hand, und er war nicht der einzige Anhänger Calvins unter der Lehrerschaft. Deshalb war es nicht überraschend, dass die Katholiken Trinity mieden. Die
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