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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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Kirche von England und ihre irische Schwesterkirche trugen mittlerweile auch calvinistische Züge. »Nur die von Gott Erwählten sind Teil der Kirche«, verkündeten ihre Prediger.
    Aber war jedes Gemeindemitglied ein Auserwählter, der ins Paradies eingehen würde? Das ließe sich nicht mit Sicherheit sagen, räumten die Calvinisten ein. Jeder moralische Lapsus konnte als Anzeichen für die ewige Verdammnis gelten. Und selbst bei gottesfürchtigem, frommem Lebenswandel blieb immer noch eine große Unsicherheit. Doktor Pincher hatte dies in einer seiner besten Predigten treffend ausgedrückt:
    »Niemand kennt sein Schicksal. Wir gleichen Männern, die auf dem Eis eines zugefrorenen Flusses wandeln. Wie Narren verschließen wir die Augen davor, dass das Eis jederzeit nachgeben und brechen kann. Dann stürzen wir in die eisigen Fluten – unter denen, noch tiefer verborgen, die brennenden Feuer der Hölle lodern. Seid also nicht stolz darauf, dass ihr den Gesetzen des Evangeliums folgt, sondern erinnert euch daran, dass wir alle elende Sünder sind. Seid demütig. Denn dies ist die göttliche Falle, und aus ihr gibt es kein Entrinnen. Alles ist vorherbestimmt. Gottes vollendeter Wille wird sich niemals ändern.« Woraufhin Doktor Pincher seine verzweifelte Gemeinde ansah und laut ausrief: »Aber ich bitte euch, verzagt nicht! Auch wenn ihr, falls Gott es so bestimmt hat, der ewigen Verdammnis anheim fallen werdet. Denn ihr dürft niemals vergessen, dass uns auch auf dem schwersten Wege die Hoffnung immer begleiten muss.«
    Gab es eine solche Hoffnung vielleicht auch für jene, die nicht der calvinistischen Gemeinde angehörten? Das schien zweifelhaft. Besonders für diejenigen, die dem katholischen Glauben anhingen, sah die Zukunft ziemlich düster aus. Denn sie gaben sich dem Aberglauben hin und verehrten die Heiligen als Götzen – was in der heiligen Schrift ausdrücklich verboten wurde. Und hatten sie nicht die Gelegenheit erhalten, sich von ihren Fehlern loszusagen? Für Doktor Pincher stand fest, dass alle Anhänger des römischen Papstes direkt zur Hölle fahren würden. Und die alteingesessenen Iren, deren schlechter Charakter hinlänglich bekannt war, befanden sich wahrscheinlich schon auf Erden in den Klauen des Teufels. Sie gehörten in die tiefsten Abgründe der Hölle, genau wie die heidnischen Geister, von denen es auf der Insel nur so wimmelte. Solche Gedanken stärkten Doktor Pinchers Entschlossenheit, während er das Meer in Richtung Dublin überquerte.
    Durfte er selbst seinem Schicksal gelassen entgegen sehen? War sich Simeon Pincher in den verborgensten Winkeln seines Herzens ganz sicher, dass er selbst zu den Erwählten gehörte? Er musste es einfach hoffen. Natürlich gab es auch in seinem Leben gewisse Sünden oder zumindest Fehltritte. Es war schließlich das Los eines jeden Menschen, zu sündigen. Aber wer bereute, konnte immer noch gerettet werden. Und falls er in seinem eigenen Leben wirklich gesündigt haben sollte, dann bereute er das aus tiefstem Herzen. Und sein Lebenswandel und der Eifer, mit dem dieser Gelehrte dem Herrn diente, bewiesen doch sicherlich – wie er hoffte und glaubte –, dass er tatsächlich nicht der Geringste unter den Auserwählten war.
    * **
    Es war ein ruhiger Tag, nur eine leichte Brise umwehte Pincher bei sei ner Ankunft in Dublin. Das Schiff ankerte in der Mitte des Liffey, und ein Bootsführer ruderte ihn zum Holzquai.
    Gerade war er auf die Terra Firma Irlands geklettert, die der alte Quai repräsentierte, als ganz plötzlich etwas geschah, was seine Welt buchstäblich auf den Kopf stellte.
    Als er wieder zu sich kam, lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. In seine Ohren drang ein tosender Lärm, und irgendetwas hatte ihm einen solchen Schlag in den Bauch versetzt, dass er kaum atmen konnte. Er hob den Kopf, blinzelte und blickte in das Gesicht eines Mannes – der Kleidung nach ein Gentleman –, der sich den Staub abklopfte und besorgt auf ihn hinunter starrte.
    »Sind Sie verletzt?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete Pincher. »Was ist denn passiert?«
    »Es gab eine Explosion.« Pincher rollte sich herum. Sein Blick folgte dem Finger des Fremden, und er sah, dass in der Mitte der Quais, wo ihm vorher ein hohes Gebäude mit einem Lastkran aufgefallen war, jetzt nur noch ein zerstörter Steinstummel stand. Die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren nur noch verkohlte Ruinen.
    Pincher ergriff dankbar die Hand, die der Fremde ihm
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