Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Raffkes

Die Raffkes

Titel: Die Raffkes
Autoren: Berndorf Jacques
Vom Netzwerk:
ihr laut und fröhlich, alles sei halb so schlimm. Mindestens zehn Fotografen knipsten ihn dabei und mindestens fünf Fernsehkommentatoren winkten ihn heftig zu sich her: ein ganzes Königreich für Giovanni. Mann beobachtete den Italiener noch einen Moment mit Erheiterung und bemerkte dann, dass der graue Anzug, sein Gefolge und die Pressemeute inzwischen verschwunden waren, als hätte es sie nie gegeben. Jetzt hatten Bauleute das Lokal besetzt. Sie stellten schwere Balken auf und stützten die Reste des Flachdachs ab. Ein Mann fiel ihm auf, der zögernd auf der Fahrbahn des Kurfürstendamms stand und in das zerstörte Lokal starrte. Er hielt den Kopf vorgestreckt und erinnerte an einen dürren neugierigen Vogel, der genau weiß, dass irgendwann die Zeit fürs Fressen kommen wird. Er trug einen Trenchcoat, hatte beide Hände tief in den Taschen vergraben und bewegte keinen Muskel in seinem hageren Gesicht, das ein dichter schwarzer Haar schopf umgab. Mann fühlte sich zuständig, also stakste er durch den Schutt und fragte leutselig: »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Der Mann sagte keinen Ton, sah sein Gegenüber eindringlich an, als habe er Fragen. Dann schüttelte er den Kopf, drehte sich weg, überquerte langsam den Kurfürstendamm und schlüpfte zwischen zwei Polizeibeamten unter der rotweißen Banderole der Absperrung hindurch. Mann fiel Tante Ichen ein. Er schaltete sein Handy wieder ein und rief sie an: »Jochen hier. Du sitzt wahrscheinlich vor dem Fernseher, wenn ich dich und die deutsche Wirklichkeit richtig einschätze.« Gelassen antwortete sie: »Richtig. Und ich bekomme auf sämtlichen Kanälen dein wunderbares Gesicht gezeigt. Schweigsam, wie meistens, kein Lächeln, keine Reaktion.« »Was?«, fragte er verblüfft. Dann erinnerte er sich an die vielen Kameraleute. »Das ist mir aber peinlich.« »Das braucht dir nicht peinlich zu sein, mein Junge. Du hast sehr professionell gewirkt, nicht im Geringsten aufgeregt. Was ist da los? Hat man wirklich versucht, den israelischen Botschafter zu töten?« 
    »So sieht es aus, Tante Ichen.« »Aber er ist aus der Stadt gebracht worden, wie ich höre.« »Das ist auch richtig.« »Und wohin, wenn ich fragen darf?« »Das weiß ich nicht. Und ich will das auch gar nicht wissen.« »Ich kann es dir aber sagen«, entgegnete sie spitz. »Sie haben ihn und seine Familie nach London ausgeflogen. Das Ganze ist für uns Deutsche nicht gerade günstig, was?« »Nein, wahrhaftig nicht.« Sie schwieg eine Weile und meinte dann mit dünner Stimme: »Aber für dich ist es günstig, mein Junge.« »Nicht so was!«, wehrte er angewidert ab. »Du weißt, weshalb ich hier war. Ich habe bloß ein wenig ausgeholfen. Das ist alles und das wird alles bleiben.« »Ha!«, triumphierte sie. »Dauernd sage ich dir: Du musst dich unauffällig nach vorn schieben. Die Betonung liegt auf ›unauffällig‹. Na bitte, das ist deine Chance.« »Nein, Tante Ichen. Das ist durchaus nicht meine Chance. Ich werde meine Protokolle schreiben und sie abgeben und dann in mein Dienstzimmer zurückkehren. Abteilung Jugend kriminalität.« Sie machte wieder: »Ha!« Ihre Stimme kiekste noch ein wenig mehr, als sie fragte: »Er ist wohl tot, nicht wahr?« »Ja«, bestätigte Mann. Weil er sie abschrecken wollte, setzte er hinzu: »Weißt du, ihn hat die Bombe wohl am stärksten getroffen. Er … er hatte keinen Kopf mehr und auf seinem Bauch lag die rote Nelke.« »O Gott, das ist ja furchtbar. Im Fernsehen haben sie davon gar nichts gesagt.« »Das ist auch verdammt gut so«, polterte Mann. »Und jetzt entschuldige mich, ich muss noch in eine Besprechung.« »Ja. Falls du nicht in diese … in diese gemeinsame Wohnung gehen willst, komm her. Dein Zimmer gibt es schließlich noch.« »Warum sollte ich nicht in meine Wohnung gehen wollen?«, fragte Mann aufgebracht. Er hatte von Beginn an gewusst, dass sie etwas gegen Katharina hatte. Sie hatte mal nach einem Sonntagnachmittag mit Kaffee und Kuchen zu dritt geäußert, Katharina habe nicht das notwendige Format, sei entschieden zu spießig und furchtbar zwanghaft. Doch wenn er unbedingt darauf bestünde, dann sollte er sich austoben und sie anschließend vergessen. Mann hatte daraufhin eine ganze Zeit kein Wort mehr mit seiner Tante gewechselt. »Weil diese Frau mit Sicherheit … Ach, lassen wir das. Komm, wenn du willst, du brauchst vorher nicht anzurufen.« 
    Er wollte ihr diese Nickligkeiten nicht durchgehen lassen, er wollte sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher