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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut
Autoren: Margaret Atwood
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Zeit.
    Sie nickt Rose und Bob kurz zu, und sie sehen sie ein bißchen schief an, mit diesem Wir-sind-eine-eingeschworene-Gruppe-Blick, an den Tony gewöhnt ist. Männliche Historiker halten sie für einen Eindringling in ihr ureigenstes Territorium und finden, daß sie ihre Speere, Pfeile, Katapulte, Lanzen, Schwerter, Gewehre, Flugzeuge und Bomben in Ruhe lassen sollte. Sie finden, sie sollte über Sozialgeschichte schreiben, zum Beispiel darüber, wer wann was gegessen hat, oder über das Leben in der feudalen Familie. Weibliche Historiker, von denen es nicht viele gibt, meinen das auch, bloß aus anderen Gründen. Sie finden, sie sollte sich mit Geburten befassen, nicht mit dem Tod, und schon gar nicht mit Schlachtplänen. Nicht mit Aufständen und Debakeln, nicht mit Blutbädern und Gemetzeln. Sie finden, daß sie die Sache der Frauen verrät.
    Im großen und ganzen kommt sie mit Männern besser zurecht, das heißt, wenn es ihnen gelingt, die plumpen Präliminarien beiseite zu lassen; wenn es ihnen gelingt, sie nicht als »kleine Lady« zu bezeichnen oder zu sagen, daß sie nicht gedacht hätten, daß sie so feminin ist, womit sie kleinwüchsig meinen. Obwohl das nur noch die Tattrigsten von ihnen tun.
    Aber wenn sie nicht so winzig wäre, würde sie nie damit durchkommen. Wenn sie einsachtzig groß und wie eine Blockhütte gebaut wäre; wenn sie Hüften hätte. Dann wäre sie eine Bedrohung, dann wäre sie eine Amazone. Es ist dieses Mißverhältnis, das ihr ihren Freibrief verschafft. Man könnte dich umpusten wie eine Feder, lächeln sie wohlwollend auf sie hinunter. Das denkst du aber auch nur, denkt Tony und lächelt zu ihnen auf. Das haben schon viele versucht.
     
    Sie schließt ihr Büro auf und hinter sich gleich wieder zu, damit niemand merkt, daß sie da ist. Sie hat zwar im Augenblick keine offizielle Sprechstunde, aber die Studenten kennen in dieser Hinsicht keine Rücksicht. Sie scheinen sie riechen zu können, wie Spürhunde; sie lassen keine Gelegenheit ungenutzt, sich bei ihr einzuschmeicheln, oder ihr etwas vorzujammern, oder sie zu beeindrucken, oder ihr ihre Version trotziger Herausforderung aufzudrängen. Ich bin auch nur ein Mensch, würde Tony am liebsten zu ihnen sagen. Aber natürlich ist sie das nicht. Sie ist ein Mensch mit Macht. Nicht viel, aber immerhin Macht.
    Vor ungefähr einem Monat rammte einer von ihnen – groß, Lederjacke, rotäugig, Student im zweiten Jahr und Teilnehmer eines Vorprüfungskurses – ein Klappmesser in ihren Schreibtisch.
    »Ich brauche ein Al« schrie er. Tony hatte einerseits Angst vor ihm, andererseits war sie wütend. Am liebsten hätte sie zurückgebrüllt: Wenn du mich umbringst , bekommst du nicht mal ein »Bestanden« ! Aber vielleicht hatte er was genommen. Vielleicht war er high, oder verrückt, oder beides, oder er imitierte diese amoklaufenden, Lehrkräfte abschlachtenden Studenten, die er in den Nachrichten gesehen hatte. Zum Glück war es nur ein Messer.
    »Ich weiß Ihre Direktheit zu schätzen«, sagte sie zu ihm. »Warum setzen Sie sich nicht einfach auf den Stuhl da drüben, und wir reden darüber?«
    »Dem Himmel sei Dank für den psychiatrischen Dienst«, sagte sie am Telefon zu Roz, nachdem er gegangen war. »Aber was ist es bloß, was so plötzlich in sie fährt?«
    »Weißt du, Schätzchen«, sagte Roz. »Es gibt da etwas, was du nie vergessen solltest. Du hast doch von diesen Chemikalien gehört, die Frauen in sich haben, wenn sie an prämenstruellem Syndrom leiden? Also, Männer haben genau dieselben Chemikalien in sich, aber die ganze Zeit. «
    Vielleicht stimmt das, denkt Tony. Wo kämen sonst all die Feldwebel her?
     
    Tonys Büro ist groß, größer als wenn es sich in einem modernen Gebäude befinden würde, und enthält den üblichen zerkratzten Standardschreibtisch, das übliche kreideverschmierte schwarze Brett, die üblichen staubigen Standardjalousien. Generationen von Reißnägeln haben die hellgrüne Wandfarbe durchlöchert wie Holzwürmer; hier und da glitzern übriggebliebene Tesafilm-Fetzen wie Katzensilber in einer Höhle. Tonys zweitbestes Textverarbeitungsgerät steht auf dem Schreibtisch – es ist so langsam und veraltet, daß es ihr nicht viel ausmachen würde, wenn jemand es klaute –, und im Bücherregal stehen ein paar verläßliche Bände, die sie gelegentlich an Studenten ausleiht: Creasys Fünfzehn entscheidende Schlachten der Weltgeschichte, ein notwendiger alter Schinken; Liddell Hart; Churchill
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