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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut
Autoren: Margaret Atwood
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Art von Gedankenlosigkeit sei mit dem neunzehnten Jahrhundert ausgestorben. Mussolinis kriminelle Unterlassung, seine Truppen mit Schuhen – Schuhen! – auszustatten, ist da nur ein Beispiel. Und wer immer sich diese Nylonhosen für Nordkorea einfallen ließ, hätte Tonys Meinung nach vor ein Kriegsgericht gehört. Man konnte die Beine eine Meile weit aneinander scheuern hören. Und die Schlafsäcke – auch sie raschelten, sie ließen sich von innen nur schwer öffnen, und wenn es kalt war, froren sie zu! Bei nächtlichen Angriffen des Feindes wurden diese Männer abgeschlachtet wie Katzen im Sack.
    Mord durch Mode. Sie kann sich ziemlich darüber aufregen.
    Das alles wird, in gesetzterer und mit Fußnoten belegter Form, für mindestens ein Kapitel des neuen Buches gut sein, an dem sie gerade arbeitet: Tödliche Kleider: Eine Geschichte untauglicher Militärmode.
    Charis sagt, daß es schlecht für Tony ist, einen so großen Teil ihrer Zeit mit etwas so Negativem wie dem Krieg zu verbringen. Sie sagt, es ist krebserregend.
     
    Tony sucht in ihrem Ziehharmonikaordner nach der Liste der Kursteilnehmer, findet sie unter B wie Bürokratie und trägt die Noten der einzelnen Arbeiten in die kleinen, dafür vorgesehenen Kästchen ein. Als sie fertig ist, steckt sie die korrigierten Arbeiten in den dicken Umschlag, der an die Außenseite ihrer Tür geheftet ist, damit die Studenten sich ihre Arbeiten wie versprochen im Laufe des Tages abholen können. Dann geht sie zum Ende des Flurs, sieht in dem düsteren kleinen Kabuff von Fakultätsbüro, in dem gelegentlich eine Sekretärin sitzt, nach ihrer Post, findet nichts außer einer Aufforderung, ihr Abonnement für die Jane’s Defence Weekly zu erneuern, und die neueste Ausgabe von Big Guns und stopft beides in ihre Tasche.
    Als nächstes macht sie in der überhitzten Damentoilette Station, die nach Flüssigseife, Chlor und halbverdauten Zwiebeln riecht. Eine der drei Toiletten ist verstopft, wie es ihre langwährende Gewohnheit ist, und in den beiden anderen gibt es kein Toilettenpapier. In der nicht funktionierenden Toilette ist jedoch welches versteckt, und Tony holt es sich. In die Wand der Kabine, die sie am liebsten benutzt – die gleich neben dem geriffelten Plexiglasfenster – hat jemand eine neue Botschaft eingeritzt, direkt über Herstory nicht History und Hersterectomy nicht Hysterectomy: FEMINISTISCHER DEKONSTRUKTIVISMUS IST SCHEISSE. Das Ganze geht darum, daß es, wie Tony sehr wohl weiß, Bestrebungen gibt, die McClung Hall zum historischen Gebäude erklären zu lassen und dem Fachbereich Feministische Studien zur Verfügung zu stellen. Die Sprüche sind Omen einer kommenden Kontroverse, von der Tony hofft, daß sie ihr aus dem Weg gehen kann.
     
    Sie legt einen Zettel auf den Tisch der Sekretärin: Die Toilette ist verstopft. Danke. Antonia Fremont. Sie hat nicht Schon wieder geschrieben. Kein Grund, unangenehm zu werden. Der Zettel wird natürlich zu nichts führen, aber immerhin hat sie ihre Schuldigkeit getan. Dann hastet sie aus dem Gebäude und zurück zur U-Bahn und fährt in Richtung Süden.

5
    Das Lunch findet im Toxique statt, also steigt Tony an der Osgoode aus und geht in westlicher Richtung durch die Queen Street, vorbei am Dragon Lady Comic Shop, vorbei am Bamboo Club mit seinen schrillen Graphiken, vorbei am Queen Mother Café. Sie könnte auf eine Straßenbahn warten, aber im Gedränge der Straßenbahn wird sie immer plattgequetscht und manchmal gekniffen. Sie hat für eine Weile genug Blusenknöpfe und Gürtelschnallen vor Augen gehabt und entscheidet sich deshalb für die zufälligeren Gefahren des Bürgersteigs. Außerdem ist sie nicht sehr spät dran; nicht später, als Roz es immer ist.
    Sie hält sich am äußersten Rand des Bürgersteigs, so weit wie möglich entfernt von den Wänden und den zerlumpten Gestalten, die an ihnen lehnen. Dem äußeren Anschein nach wollen sie nur ein bißchen Kleingeld, aber Tony sieht sie in einem dunkleren Licht. Sie sind entweder Spione, die das Territorium vor einer geplanten Masseninvasion auskundschaften; oder sie sind Flüchtlinge, Verwundete auf dem Rückzug, auf der Flucht vor dem nahenden Gemetzel. Wie auch immer, sie hält sich von ihnen fern. Verzweifelte Menschen machen ihr Angst; sie ist mit zweien von ihnen aufgewachsen. Sie schlagen um sich, sie greifen nach allem und jedem.
    Dieser Teil der Queen Street ist etwas ruhiger geworden. Vor ein paar Jahren war er wilder, gefährlicher, aber
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