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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Jay Lake
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Schiffsbesatzung zu verhindern. Damit hatte sie die Rache des Schweigsamen Ordens auf sie alle herabbeschworen. Die überlebenden Mannschaftsmitglieder waren sowohl Ihrer Kaiserlichen Majestät im weit entfernten England ein Feind als auch Verräter am Sohn des Himmels in Beijing. Nun, in den stürmischen Gewässern des Indischen Ozeans, waren sie allein und ohne Freunde.
    Die einzige Aufgabe, die ihnen geblieben war, war Childress’ Ziel: das Projekt »Goldene Brücke« aufzuhalten; den chinesischen Versuch, die Mauer mit den wiederentdeckten, uralten Zaubersprüchen zu überqueren, die in Chersonesus Aurea verborgen gewesen waren.
    »Das hier ist ein wackeres Schiff, aber kein intelligenter Kapitän würde es in so einen Sturm steuern.« Al-Wazirs polternde Stimme klang dem ächzenden Rumpf jetzt sehr ähnlich.
    »Ich glaube, dass wir für den Augenblick vor einer Verfolgung sicher sind.«
    »Klar, bis diese schweigsamen Bastarde uns ein oder zwei Leute auf den Hals hetzen. Die finden alles heraus, Madam.«
    Da hatte er nicht unrecht. Aber wie sollte man das bei Geheimbünden schon wissen?
    Childress passte ihre Bewegungen dem Wellengang an, beugte sich zu den Kartenschubladen vor und holte eine ihr sehr vertraute Karte des Indischen Ozeans hervor. Bisher hatten sie einfach Kurs Nordwesten eingeschlagen und waren verstohlen auf einem Inselchen der Malediven an Land gegangen, um sich auf seinen weißen Stränden schier endlos über das nächste Ziel zu streiten. Sie nahmen frisches Wasser, Obst und Fisch auf, hatten aber keine Antworten parat.
    Sie hatte eine Aufgabe, aber noch kein Ziel. Wo konnte sie ihre Kraft am besten zum Einsatz bringen?
    Childress starrte auf die Karte und hatte ihre Füße an den kleinen, herunterklappbaren Tisch gelehnt. Blauer Schlafanzug , dachte sie. Ihr gesamtes Leben lang wäre sie lieber tot umgefallen, als in Hosen erwischt zu werden, und jetzt teilte sie sich einen Raum mit diesem riesigen Grobian und trug dabei nichts weiter als einen blauen Schlafanzug.
    »An diesem Ozean muss doch mehr dran sein als nur Stürme«, grübelte sie laut nach.
    »Chinesen, Kokosnüsse und Haie«, lautete al-Wazirs Kommentar.
    »Bootsmann, selbst die größten Weisen könnten noch von Ihnen lernen.«
    Er kicherte. Sie sah wieder zu ihm auf und bemerkte ein ihr bisher unbekanntes Funkeln in seinen Augen.
    Dieser Mann hatte Paolina wider alle Vernunft geliebt. Childress vermutete, dass er den Verlust des Mädchens mehr bedauerte als den Verlust seiner Hand.
    Childress drehte die Karte in ihren Händen. Sie hatte die Häfen dieses Ozeans praktisch auswendig gelernt und die kleinen Lautbilder ihrer chinesischen Namen in den Tiefen ihrer ars memoriae untergebracht. Al-Wazir hatte ihr bei einigen auf Englisch weitergeholfen: Aden, Mogadischu. Leung hatte andere hinzugefügt: Phuket, Penang, Colombo.
    Weit weg von New Haven.
    »Bootsmann«, fragte Childress. »Wie heißt dieser Ort an der Westküste Indiens? Ich bin mir nicht sicher, ob er in einer anderen Farbe gehalten oder das nur ein Fleck auf der Karte ist.«
    »An Bord dieses Schiffs? Sie würden die Seekadetten lieber eine neue Karte zeichnen lassen, als eine dreckige in der Schublade aufzubewahren.« Al-Wazir hatte der chinesischen Seemannskunst nur widerwillig Respekt entgegengebracht, denn sie widersprach all dem, was er während seiner Dienstjahre an Bord eines Luftschiffs der Royal Navy erlebt hatte.
    Sie wartete ein weiteres Stampfen des U-Boots ab und schob ihm dann die Karte hin. »Hier. Das da.«
    »Hm …« Er kniff die Augen ein wenig zusammen. »Das könnte Goa sein.«
    »Goa?« Der Name sagte Childress nichts.
    »Eine Stadt, in der nur verrückte Typen und Portugiesen leben.«
    »Im wahrsten Sinne des Wortes? Ich dachte, das Empire würde über den gesamten westlichen Teil des Ozeans herrschen?«
    »Kontrolle ist eine Sache; sie auszuüben eine andere«, sagte al-Wazir. »Einige Orte gehorchen nur sich selbst.«
    »Wie die Indianer in Amerika.«
    »Sind alles nur Kanaken«, sagte der große Mann und gab sich wieder seiner Depression hin.
    Endlich ein Ort, an dem wir uns aufhalten können, dachte sie. Und unseren nächsten Schritt planen können. Meinen nächsten Schritt.
    Paolina
    Sie war vor ihrer eigenen Macht und der Machtgier der Männer geflohen und hatte auf den Engel gehört, der ihr einen Namen ins Ohr geflüstert hatte. Paolina hatte erwartet, vor einen juwelenschweren Thron geführt oder einem uralten Weisen vorgestellt zu
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