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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin
Autoren: Kelly Medling
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Rückseite waren noch immer gut zu lesen: »In Liebe, Alex.« Damit besaß ich ein kleines Stück von ihr und ein kleines Stück von ihm.
    »Das Apartment wäre für eine Weile ein sicherer Ort«, sagte Wyatt.
    Abrupt fuhr ich zu ihm herum. Zu meinem Ärger hatte er recht. Ich wollte nicht in die Wohnung zurückkehren, in der Chalice und Alex zusammen gelebt hatten. Allerdings blieb mir kaum eine andere Wahl. Zwar kannten die Triaden die Adresse, aber da wir wieder auf deren Seite standen, brauchten wir von ihnen keinen Überfall zu befürchten. Kelsa kannte mich in Chalices Gestalt, aber sie war tot, und es gab keinen Grund zu der Annahme, dass die anderen Kobolde Bescheid wussten. Und Isleen und ihre Blutsauger waren uns nicht feindlich gesinnt.
    »Und was, wenn Alex den Halbvamps verraten hat, wer er war?«, fragte ich, während ich mir die Kette umhängte. »Dann könnten sie von der Adresse wissen.«
    »Die meisten von ihnen sind tot, Evy.«
    »Die Balkontür ist zerstört.«
    »Dann bleiben wir eben nicht lange. Aber ehrlich gesagt ist das unsere beste Alternative.«
    »Na gut.«
    Die vertrauten Bilder der Stadt glitten an uns vorbei. Erst fuhren wir Richtung Süden nach Mercy’s Lot, bogen dort rechts ab, nahmen die Wharton Street Bridge und gelangten schließlich in die vornehmeren Viertel von Parkside East. Mehr aus einem eigenartigen Bauchgefühl heraus – denn ich hatte mir den Weg nicht richtig gemerkt – dirigierte ich Wyatt zu dem richtigen Häuserblock. Chalice war diese Gegend vertraut, sie war ein Teil von ihr. Als ich vor drei Tagen zum ersten Mal hergekommen war, hatte ich mich in dieser sauberen, reichen Umgebung unwohl gefühlt. Doch als ich jetzt hierher zurückkehrte, kam mir alles ganz selbstverständlich vor, und ich fühlte mich wie zu Hause.
    Im Vorbeifahren deutete ich auf das Gebäude – ein typisches Mietshaus, sauber verputzt, mit geschmückten Balkonen und einer Tiefgarage. Wyatt fuhr einmal um den Block und bog in eine Seitenstraße zwischen den freistehenden Häusern ein. Neben einer Reihe Mülleimer parkte er den Wagen. Bevor wir ausstiegen, wischten wir die Armaturen und Sitzpolster ab.
    »Wir werden nicht unbemerkt bleiben«, bemerkte ich. Um uns herum erwachte das Viertel zum Leben, und die Straßen füllten sich allmählich mit Autos, da viele von hier zur Arbeit in die Innenstadt pendelten. Ich trat zu Wyatt, der vor dem Wagen stand.
    Wyatt betrachtete sein Hemd. Der eine noch weiße Ärmel war schmutzig, der andere dagegen dunkelrot. »Vielleicht lösen wir einen neuen Modetrend aus.«
    »Oder eine Massenpanik. Ihre Wohnung ist einen Block weiter im fünften Stock.«
    »Du könntest …«
    »Ich teleportiere uns nicht.«
    »Wenn wir vor der Tür stehen, musst du es womöglich doch tun.«
    Ich neigte den Kopf zur Seite. »Wieso das?«
    »Hast du Schlüssel?«
    Ich griff in meine Taschen. Chalices Schlüssel hatte ich nicht mehr in der Hand gehabt, seit … Ich war mir nicht sicher. Vor zwei Tagen, als ich in ihre Wohnung gegangen war, um Alex um Hilfe zu bitten, hatte ich sie gehabt. Und danach? »Ich muss sie irgendwo in der Wohnung vergessen haben. Mist.« Ich wirbelte herum und trat mit dem Absatz gegen den Kotflügel des Wagens, der zwar erbebte, aber nicht einbeulte. Danach fühlte ich mich auch nicht besser.
    »Das Auto ist nicht schuld daran, Evy.«
    »Niemand ist schuld daran, stimmt’s? Das ist einfach nur so passiert.«
    Er runzelte die Stirn. »Was zum Teufel …?«
    Ein metallisches Kreischen und Quietschen ertönte. Glas zersprang. Klirrend prasselten Scherben zu Boden oder prallten klappernd von Blechteilen ab. Dann hörte ich, wie ein Reifen platzte und Luft daraus entwich. Splitter trafen auf meine linke Schulter und meine Wange. Mit einem Stöhnen hechtete Wyatt zur Seite. Ich tat es ihm gleich und schürfte mir auf dem Asphalt den Ellbogen auf.
    Etwas Schweres war auf dem Wagen gelandet. Als ich aufsah, zeichnete sich gegen den Morgenhimmel die Gestalt eines Mannes ab. Er stand kerzengerade auf dem eingedrückten Autodach und ließ die Arme locker herabhängen. Er war groß, schlank und muskulös und hatte nichts weiter an als Jeans und ein Paar Schuhe. Mit offenem Mund starrte ich ihn an, als zwei weitere Schatten auf uns herabfielen.
    Es waren die Schatten seiner beiden Flügel.

2. Kapitel
    07:02 Uhr
    D er erste Impuls in mir schrie: »Gargoyle!« Doch bevor ich es laut ausrief, setzte mein gesunder Menschenverstand ein und verhinderte es rechtzeitig.
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