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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin
Autoren: Kelly Medling
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wusste nicht, welcher Teil der Persönlichkeit nach dem Tod in einem Körper zurückblieb, doch auf jeden Fall hatten sich Bruchstücke von Chalice in meinem Gehirn eingenistet.
    »Du hast in ihre Erinnerungen geblickt?«, fragte Wyatt.
    »Wenigstens in ein paar davon, aber es ist nicht so, wie man sich an sein eigenes Leben erinnert. Es sind eher Gefühle, die mit bestimmten Erlebnissen verknüpft sind. Zum Beispiel wie es ist, als Außenseiterin aufzuwachsen, oder was sie Alex gegenüber empfunden hat.«
    Mein Gott, Alex! Chalices bester Freund hatte sein Leben gegeben, um mir zu helfen. Dabei kannte ich nicht einmal seine Familie, seine Freunde oder seine Kollegen. All diese Leute würden sich wundern, wo er abgeblieben war. Sie würden Antworten verlangen. Auf keinen Fall konnte ich ihnen erzählen, dass er sich in einen Halbvampir verwandelt hatte und ich ihm eine Kugel in den Kopf gejagt hatte, um ihn von seinem Leiden zu erlösen.
    Der Kummer darüber schnürte mir die Kehle zu, und Tränen traten mir in die Augen. Doch ich biss mir auf die Lippen, um weitere emotionale Ausbrüche zu vermeiden. Ich musste mich zusammenreißen.
    Wyatt berührte meine Schulter und drückte sie verständnisvoll, woraufhin ich nach seiner Hand griff, unsere Finger miteinander verschränkte und ihn anlächelte.
    »Wir sollten weitergehen«, erklärte ich. »Es ist noch ein langer Weg zurück.«
    Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich vieles verkniff, was er eigentlich tun oder mir sagen wollte. »Na schön«, sagte er.
    Als wir die Hauptstraße erreicht hatten, wanderten wir weiterhin am Straßenrand entlang. So früh am Morgen kamen hier noch keine Autos vorbei. Ein paar Minuten später gelangten wir zu unserem versteckten (und gestohlenen) Wagen. Eben machte die Tankstelle auf, und im Fenster flackerte die Neonschrift orangefarben auf: »Geöffnet«. Es roch nach bitterem Kaffee – nach genau der Sorte, die man nur kauft, wenn einem nichts anderes übrigbleibt und man vor der Wahl steht, entweder diese abgestandene Brühe zu trinken oder am Steuer einzuschlafen.
    Mir knurrte der Magen. Zu dumm. Beide waren wir über und über mit Blut beschmiert – sowohl mit menschlichem als auch mit nichtmenschlichem. Wir hätten es keine fünf Schritte in den Laden geschafft, bevor der Tankwart die Polizei gerufen hätte.
    »Wir müssen diesen Wagen bald loswerden«, meinte ich, als wir die Straße zur Stadt hinunterfuhren. Der Typ, dem wir das Auto geklaut hatten, würde sicher bald aufwachen – wenn er nicht ohnehin schon auf den Beinen war – und den Diebstahl melden. Die herkömmlichen Polizisten hatten von den Triaden keine Ahnung, und ich hatte keine Lust, den Tag in einer Zelle in Untersuchungshaft zu verbringen.
    »Wir müssen uns außerdem überlegen, wo es hingehen soll«, gab Wyatt zu bedenken. »Ein Motel ist ja schön und gut, aber wir brauchen auch ein paar Lebensmittel und frische Kleider.«
    »Was ist mit der Wohnung des Werkaters? In der wir vor ein paar Tagen gepennt haben?«
    Er schüttelte den Kopf und bremste ab, als wir auf eine Kreuzung zufuhren. Allmählich ließen wir den Wald hinter uns und erreichten die Randbezirke der Stadt. Hier wurde die Straße vierspurig. »Der kommt heute zurück.«
    »Verdammt.« Eine bessere Idee hatte ich nicht. »Vermutlich haben sie uns unsere alte Bude am Cottage nicht warmgehalten, oder?«
    »Die haben die Triaden als Erstes auf den Kopf gestellt, als du angefangen hast, auf eigene Faust zu arbeiten.«
    Das hatte ich mir schon gedacht. Die Zweiraumwohnung am Cottage Place war zwar ein Loch gewesen. Dennoch war sie vier Jahre lang mein Zuhause gewesen. Meine kleine Kammer dort war kaum größer als ein Schrank gewesen. Ich hatte sie von dem toten Jäger geerbt, den ich ersetzt hatte, während Jesse und Ash sich das etwas geräumigere der beiden Zimmer geteilt hatten. Zum Schlafen war die Wohnung groß genug, und vor allem lag sie nah beim Stadtteil Mercy’s Lot, was zum Jagen sehr praktisch war. Eine Nacht, bevor meine Partner getötet worden waren, war ich zum letzten Mal da gewesen – seitdem nie wieder. Ich hatte keine persönlichen Besitztümer und besaß auch keine Gegenstände von sentimentalem Wert, die ich gebraucht oder vermisst hätte.
    Vielleicht hütete ich deshalb die Kette mit dem Kreuzanhänger so gut. Ich griff in meine Gesäßtasche und holte sie heraus. Eine Ecke des silbernen Kreuzes war mit Blut verschmiert, doch die eingravierten Worte auf der
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