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Die Qualen der Sophora

Die Qualen der Sophora

Titel: Die Qualen der Sophora
Autoren: May R. Tanner
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auf den von Maschinen plattgestampften Zufahrtswegen, auf
denen Unkraut wucherte und erreichte schließlich das kunststoffbezogene
Maschendrahtgitter, das an manchen Stellen schon löcherig jedoch nicht löcherig
genug war, um einfach hindurch zu schlüpfen. Er musste klettern.
    Bei jedem Tritt atmete er schwerer. Seine
billigen Turnschuhe waren zu breit für die kleinen Löcher. Mehrmals rutschte er
ab, verlor den Halt und stürzte plump zu Boden. Man hätte es belustigend finden
können, doch für den Ghoul war dieser lächerliche Fluchtversuch ein einziger
Impuls des Überlebens. Er wollte nicht sterben, aber sein letztes Stündlein
hatte mit dem Auftauchen des Hundes längst geschlagen.
    Ein surrendes Geräusch durchschnitt die
Luft. Es klang wie der Frisbee, den er gestern noch mit seinen Freunden im Park
geworfen hatte.
Plötzlich hart von hinten getroffen, klatschte der Ghoul wie ein nasser Sack
gegen den Zaun. Die weiche Haut seiner Wange presste sich gegen den Draht und
hinterließ einen grotesken Abdruck darauf, bevor auch um ihn herum alles
schwarz wurde.
    Vorn aus seiner Brust ragte die Spitze
des nach ihm geworfenen Schwerts, dessen gewaltsamer Einschlag seinen
Wirbelkanal durchbrochen und ihn damit endgültig aller Bewegungsmöglichkeiten
und Fluchtgedanken beraubt hatte.
Wieder war es der Hund, der zuerst näher kam und seinem Beschützer mit einem
wehleidig klingenden Jaulen erklärte, dass die Gefahr vorüber war. Vorerst.
Die schwarze Gestalt nickte zustimmend, kam näher und zog das antik
geschmiedete Schwert, das genau auf ihre Maße abgestimmt war und mit ihr
zusammen im Kampf die perfekte Einheit bildete, mit einem knirschenden Geräusch
aus dem Rücken des bewusstlosen Ghouls heraus.
    „Den Rest wird die Sonne erledigen,
Rowtag. Der Junge hier geht nirgendwo mehr hin. Ich gehe und sehe nach den
Kriegern.“
Ein Knurren als Antwort, dann erscholl, während sich das Herrchen umdrehte und
langsam die Kapuze des kaftanartigen Mantels vom Gesicht zog, dessen
wunderschöner Anblick einem den Atem zu rauben vermochte, das laute, alles
durchdringende Heulen eines Wolfes bei Vollmond.
    Rowtag trauerte um die Toten. Tiponi ließ ihren Hund am Zaun zurück, um wie angekündigt nach den Kriegern zu
sehen. Ashur hatte es schlimm getroffen. Er war sehr schwer verletzt. Doch es
stand ihr nicht zu, etwas zu seiner Rettung beizutragen. Sie konnte nichts für
ihn tun, ohne sich selbst zu gefährden. In ihm schlief ein Tier, das sie nicht
bändigen konnte, wenn es aufgewacht war.
    Bei Damon Arcus dagegen sah es schon
anders aus. Tiponi ging neben den immer noch bewusstlosen Kriegern in die Hocke
und tippte dem Angeschossenen vorsichtig an die Schulter. Dieser regte sich
nicht. Dabei war die Tiefe seiner Bewusstlosigkeit nicht einmal annähernd in
dem Stadium, in dem sich sein Mitstreiter befand. Ashur war dem Tod näher als
dem Leben.
    Als Tri’Ora hätte sie vielleicht das
Recht gehabt, ein Urteil zu fällen. Die Krieger hatten sehr nachlässig
gehandelt. Nein, nicht die... nur der. Das ging schon eine ganze Weile so.
Tiponi nahm sich eine Sekunde lang Zeit, Damons makelloses Gesicht zu
studieren, um dahinter irgendeine Absicht zu erkennen, warum er sich selbst am
meisten aber die Sophora derartig quälte. Ein gebrochenes Herz vielleicht.
Irgendetwas Rühriges, was erklären würde, warum er sich weigerte, zu lieben und
wiedergeliebt zu werden. Doch sie konnte nichts entdecken. Dabei hatte sie die
Warrior und ihr Umfeld schon jahrelang unter Beobachtung ihrer Späher, die ihr
alles berichteten, was in den Reihen der Krieger vor sich ging.
    „Zuerst nehmt ihr mir Awendela und dann
erwartet ihr, dass ich euch helfe? Ihr seid mir eine schöne Bande von Kriegern.
Ich sollte euch eigentlich in den Arsch treten, Freunde!“
Tiponi legte ihre Waffe, auf die sie sich gestützt hatte, neben sich auf den
Boden. Dann griff sie in Taillenhöhe in eine verborgene Tasche in ihrem Mantel
und zog ein kleines Messer hervor, mit dem sie für gewöhnlich die Nahrung für
ihren Hund zerteilte. Kaninchen, Ente, Hirsch. Was man eben so fing, auf der
Jagd in den Wäldern außerhalb dieser irren Stadt mit all seinen Gefahren.
    Sie schnitt sich in den Zeigefinger,
musste nicht lange warten, bis das Blut kam und träufelte es auf Damons, von
der Hitze der Explosion trocken gewordenen Lippen. Er reagierte immer noch
nicht. Tiponi blickte grimmig. Danach suchte sich ihr Zeigefinger mit ein wenig
mehr Nachdruck einen Weg in seinen Mund,
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