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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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dir ein, zu behaupten, ein Apfel sei rund? Er ist mitnichten rund, denn Hieronymus von Nirgendwo bezeichnet ihn als grünen Schlag, und daraus geht eindeutig hervor, daß er flach ist! Du wagst es doch hoffentlich nicht, an Hieronymus zu zweifeln! Du Ungläubiger, du Ketzer, du Nichts, du …«
    Während sie mit ihrem Sohn lachte, entspannte sich Zobeida von den Anstrengungen der Wehen, bei denen sie geholfen hatte. Mathilde Kühn hatte eine weitere Fehlgeburt gehabt. Ihr Mann schlug sie so regelmäßig, wie er ihr Bett teilte, und behandelte sie nicht besser als einen Packesel. Er hatte die Nachricht mit einem Fluch entgegengenommen und war ins nächste Wirtshaus verschwunden, während Mathilde mühsam den Trank zu sich nahm, den Zobeida ihr bereitet hatte, um ihre Schmerzen etwas zu lindern.
    »Gott haßt mich«, flüsterte sie, als Zobeida ihren Kopf hielt, und Trude, Mathildes ältere Schwester, hatte ihr sofort widersprochen und versichert, daß Gott sie liebe und das nächste Kind bestimmt lebend zur Welt käme.
    Später, während sie Zobeida aus dem Haus begleitete, hatte Trude ängstlich gefragt: »Sie wird doch einmal ein gesundes Kind gebären, oder?«
    Zobeida hatte in einem Anflug von Bitterkeit geantwortet: »Nicht, solange man sie bei ihrem Gemahl läßt. Ich habe Euch schon vor ein paar Wochen gesagt, daß sie wieder eine Fehlgeburt haben wird. Ihr solltet sie zu Euch nach Hause nehmen.«
    Doch beide Frauen wußten, daß dies unmöglich war. Der Mann war der Gebieter, und Zobeida wie Trude, so sehr sie sich sonst auch unterscheiden mochten, waren mit dieser Ansicht großgeworden. In der Tat, dachte Zobeida, besaß Mathilde Kühn als Gemahlin eines freien Stadtbürgers nicht mehr Schutz als sie, Zobeida, in ihrer Zeit als Sklavin gehabt hatte.
    Sie aßen zu Abend, und Zobeida ertappte sich einmal dabei, wie sie, als ihr Sohn ihr von seinen Schulabenteuern erzählte, mehr dem Klang seiner Stimme als seinen Worten lauschte. Es war schon nicht mehr eine richtige Kinderstimme, sondern erinnerte sie mehr und mehr an seinen Vater. Sie warf Richard einen liebevollen Blick zu. Bis auf die Haare glich er Markus überhaupt nicht; merkwürdigerweise wirkte sie noch abendländischer als er.
    Zobeida hatte ihre Mutter nicht gekannt, wußte aber, daß sie eine Tscherkessensklavin gewesen war, und daß sie, Zobeida, von ihr das üppige blonde Haar und die hohen slawischen Wangenknochen geerbt haben mußte. Zobeidas Augen waren schwarz wie die ihres Sohnes, sie besaß einen großzügigen Mund und eine Gestalt, die sie zu einer der Hauptattraktionen jener Versteigerung in Venedig gemacht hatte, bei der Markus ihr begegnet war.
    »Das Schicksal geht seltsame Wege«, sagte sie in Gedanken daran, »wäre mein Vater, Ibn Zaydun, nicht gestorben und hätte mich sein Neffe nicht verkauft, dann wäre ich nie nach Venedig gekommen. Und doch dachte ich am Tage des Verkaufs, mein Leben sei zu Ende.«
    Zobeida war das Lieblingskind ihres Vaters, des Arztes Ibn Zaydun, gewesen, ihres blonden Haares und ihrer lebhaften Auffassungsgabe wegen, beides eine Seltenheit, die er zu würdigen verstand, denn er hatte keinen Sohn. Er lehrte seine kleine Tochter vieles über Arzneien, brachte ihr sogar Lesen und Schreiben bei, was fast ein Skandal war, und empfand die Freude eines Lehrers und Sammlers über ein seltenes Stück.
    Zu wärmeren Gefühlen war er nicht fähig, und die anderen Töchter, die ihm Sklavinnen geboren hatten, interessierten ihn überhaupt nicht, obwohl er sie versorgte. Zobeida war sein Geschöpf, etwas noch viel Besseres als der sprechende Papagei oder der gelehrige Affe, den er besaß, und ihre Eigenwilligkeit entzückte ihn wie die eines Falken, den er aufsteigen ließ. Da diese distanzierte Freundlichkeit die einzige Art von Zuneigung war, die Zobeida in ihrer Kindheit kennenlernte, brachte sie ihrem Vater leidenschaftliche Liebe entgegen und war untröstlich, als er starb.
    Bald sollte sie entdecken, daß es ihm nie in den Sinn gekommen war, dafür zu sorgen, das von einer Sklavin geborene Mädchen nach seinem Tod freizugeben, und so war Zobeida im Erbe seines Neffen inbegriffen. Der Neffe Ibn Zayduns war ein gutaussehender, heißblütiger junger Mann; er nahm die anziehende Halbtscherkessin sofort in sein Bett, und Zobeida machte in ihrer Trauer zum zweiten Mal den Fehler, jemandem ihre Liebe zu schenken, der diese längst nicht im selben Umfang erwiderte.
    Als ihr neuer Herr in Geldschwierigkeiten geriet, wurde
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