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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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schließlich kam heraus, daß er ein riesiges feuerrotes Muttermal am Rücken hat.«
    »Armer Mann. Ich hoffe nur«, sagte Zobeida streng, »du hast nicht über ihn gelacht. Es gehört nicht viel dazu, sich über schüchterne Leute lustig zu machen.«
    Richard machte ein reuiges Gesicht, konnte aber nicht widerstehen, hinzuzufügen: »Trotzdem bin ich froh, wenn ich erst eine Universität besuchen kann und nicht mehr das Kloster, wo jederzeit ein Bruder Ludwig als Lehrer droht.«
    »Der vielleicht deine künftigen Doctores kennt.«
    Richard zog eine Grimasse. »Ich werde doch nicht hier im Reich studieren«, widersprach er. »Ich werde überall hinreisen, in alle Länder, auch in Eure Heimat, Mama, und studieren werde ich dort oder in Italien. Es heißt, daß es in Italien die gelehrtesten Schulen gibt, seit die arabischen Universitäten in Spanien für Christen nicht mehr zugänglich sind.«
    Es war eine von Richards Lieblingsbeschäftigungen, sich zukünftige Reisen auszumalen, und er zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß seine Mutter mit ihm kommen würde. Schließlich konnte sie ihre Heilkünste überall anwenden – was also sollte sie in Wandlingen?
    Er holte sich Feder und Papier, um die Umrisse der Länder zu zeichnen, in die sie ziehen würden, und sie träumten gemeinsam von den fremden Städten, Landschaften und Tieren. Richard würde die Sprachen der Länder bald beherrschen, wie er auch nicht lange gebraucht hatte, um Lateinisch, Griechisch, Arabisch zu lernen, und Zobeida bedauerte, wenn sie an Italien dachte, ihm nicht mehr als ein paar mundartliche venezianische Ausdrücke vermitteln zu können – denn daß dieses Land am Anfang ihrer großen Reise stehen würde, hatten sie längst beschlossen.
    Richard zeichnete schließlich auch die Gesichter einiger Menschen, die sie kannten, wofür er ein ausgesprochenes Talent besaß. Seine Darstellungen übertrieben, doch sie erfaßten das Wesentliche, und sie lachten beide über den trunksüchtigen Emmerich Kühn oder die keifende Lieselotte Schmidt. Dann wurde Zobeida wieder ernst.
    »Dieser Mann ist böse«, sagte sie und deutete auf Emmerich Kühns Konterfei. »Es wäre ein Segen für seine arme Frau gewesen, wenn nicht das Kind, sondern er gestorben wäre. Wenn ich nicht Angst gehabt hätte, daß sie verblutet, hätte ich mich diesmal geweigert, Emmerich zu Hilfe zu kommen.«
    Sie seufzte.
    »Sowie sie einigermaßen gesund ist, wird er sie wieder schwängern und wieder schlagen, und sie wird noch eine Fehlgeburt erleiden, denn sie ist nicht sehr stark. Und eines Tages werde ich sie sterben sehen. So ungerecht ist das alles, mein Sohn, und so sinnlos.«
    Um sie abzulenken, malte Richard hastig einen grotesken Bruder Ludwig, stellte ihn als Giftpilz dar, der sich drohend über eine Ameise beugte. Er fand ohnehin, daß Bruder Ludwig Ähnlichkeit mit einem Pilz hatte. Ludwig war nicht eigentlich dick, doch auch nicht schlank, und seine in Aufregung zitternden Wangen verliehen ihm einen schwammigen Gesamteindruck. Zobeida warf einen Blick auf sein Kunstwerk und lächelte wieder. »Ist das dein neuer Lehrer? Oh, Richard!«
    Es wurde ein wunderbarer, von warmer Heiterkeit erfüllter Abend, und als Richard schließlich zu Bett ging, dachte er, daß er wahrhaftig ein gesegnetes Schicksal hatte. Sie würden für immer und ewig glücklich sein. Eine Welt voller Wissen und Abenteuer wartete. Wie herrlich war es doch zu leben!
    Bruder Ludwig keuchte, als er schließlich vor dem Haus Artzt stand. Lange Fußmärsche waren nichts für ihn, und seine Erhitzung mochte daran schuld sein, daß er, ohne anzuklopfen, durch die angelehnte Tür trat. Er hatte sich einen Wochentag ausgesucht, um mit Richards Mutter zu sprechen, und schon einige würdevolle Sätze für die Sarazenin zurechtgelegt, die er sich dunkel, klein und üppig vorstellte, wie Heidenweiber eben sein sollten. Doch nun blieb er auf der Schwelle stehen und erstarrte, sich sofort bewußt, welchen Höflichkeitsfehler er gemacht hatte.
    Die Frau, die ihm ihren Rücken zuwandte, war bereits angekleidet, und dafür dankte er jetzt Gott. Doch ihr Haar fiel ihr noch frei über die Schultern, und er konnte die Augen nicht davon abwenden – es war nicht dunkel, sondern blond, ein reiches, üppiges Silber, wie er es noch nie gesehen hatte. Es erweckte in ihm das Verlangen, es zu berühren, nur um festzustellen, ob es wirklich so weich war, wie es schien, und er bekreuzigte sich hastig.
    »Frau Artzt?« fragte er
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