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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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unduldsam. Prediger 25: Es ist kein Groll über dem Groll des Weibes. Und wahrlich, die Hauptursache, die der Vermehrung der Hexen dient, ist der ständige Zwist zwischen verheirateten und nicht verheirateten Frauen und Männern; ja auch unter den heiligen Frauen, wie man im Buch Genesis sieht: Wie soll es dann erst bei den übrigen sein. Und wenn die Frauen es schon so unter sich treiben, wieviel mehr gegenüber den Männern! Und wie sie aus dem ersten Mangel, dem des Verstandes, leichter als Männer den Glauben ableugnen, so suchen, ersinnen und vollführen sie infolge des zweiten Punktes, der außergewöhnlichen Leidenschaften, verschiedene Rache, sei es durch Hexerei, sei es durch andere Mittel. Daher ist es kein Wunder, daß es eine solche Menge Hexen in diesem Geschlecht gibt; es ist geradezu dafür bestimmt.«
    Richard blickte auf den sich ereifernden weißbärtigen Dominikaner auf der Kanzel und langweilte sich. Hexen waren ein Thema für Abende, an denen man sich gegenseitig einschüchtern wollte, und die Tirade gegen die Frauen war mit ihren ständigen Wiederholungen einfach ermüdend. Was für ein Unsinn! Er war bereit, zu wetten, daß der Dominikaner in seinem Leben noch nie eine Frau näher kennengelernt hatte. Er sah sich um und bemerkte erstaunt, daß die übrige Gemeinde gebannt den Worten des Predigers lauschte. Auf den Gesichtern der Menschen lag ein schwer deutbarer Ausdruck. Was war es? Befriedigung? Sehnsucht? Vielleicht auch Selbstgefälligkeit, und ganz sicher Angst. Es erschreckte ihn etwas, und er zog es vor, wieder zu Bruder Heinrich zu sehen.
    »Apokalypse 6: Ihr Name ist Tod. Doch eine Frau ist noch schlimmer als der Tod. Bitterer als der Tod, weil dieser natürlich ist und nur den Leib vernichtet; aber die Sünde, vom Weibe begonnen, tötet die Seele durch Beraubung der Gnade und ebenso den Leib zur Strafe der Sünde. Nochmals bitterer als der Tod, weil der Tod des Körpers ein offener, schrecklicher Feind ist, das Weib aber ein heimlicher, schmeichelnder Feind. Ein Netz heißt ihr Herz, und die Hände sind Fesseln zum Festhalten. Wenn sie die Hand anlegen zur Behexung einer Kreatur, dann bewirken sie, was sie erstreben, mit Hilfe des Teufels.
    Schließen wir: Alles geschieht aus fleischlicher Begierde, die bei ihnen unersättlich ist. Sprüche am Vorletzten: Dreierlei ist unersättlich und das vierte, das niemals spricht: Es ist genug, nämlich die Öffnung der Gebärmutter.«
    Wäre Richard älter gewesen, dann hätte er den Ausdruck der Gemeinde zu deuten gewußt, als Bruder Heinrich daran ging, die Praktiken zu schildern, nach denen die Frauen gierten, dann hätte er das leise Stöhnen, das sich breitmachte, erkannt. Er stellte selbst fest, daß ihm heiß wurde. Die weihrauchgeschwängerte Luft, die sich mit dem Geruch ungelüfteter, schweißdurchtränkter Kleider und dem Atem der Gemeinde mischte, schien sich ihm plötzlich würgend wie eine Schlinge um den Hals zu legen.
    Das Gesicht des Predigers war gerötet und glänzte, als er die Arme hochwarf und rief: »Darum haben sie auch mit den Dämonen zu schaffen, um ihre Begierden zu stillen. Daher ist es auch folgerichtig, die Ketzerei nicht die der Hexer zu nennen, sondern der Hexen, damit sie den Namen bekomme a potiori ; und gepriesen sei der Höchste, der das männliche Geschlecht vor solcher Schändlichkeit bis heute so wohl bewahrte; da er in demselben für uns geboren werden und leiden wollte, hat er es deshalb auch so bevorzugt. Gelobt sei Jesus Christus!«
    »In Ewigkeit, Amen«, murmelte die erschauernde Gemeinde.
    Richard war froh, aus der erhitzten Atmosphäre der Kirche herauszukommen, und er bemerkte überrascht, daß seine Mutter zitterte. War sie zornig, oder hatte der alte Graubart ihr Furcht eingejagt? Doch es war immer noch Frühling, das schöne Wetter hatte angehalten, und der ›Hund des Herrn‹ ließ sich leicht vergessen. Wie unsinnig doch seine Worte gewesen waren! Noch zwei Wochen, dann reiste er ab, nach Brixen, wie man hörte, und in einem Monat würde niemand mehr an den Inquisitor denken.
    Für Bruder Ludwig hatte die Predigt, von der er sich Beruhigung erhofft hatte, ungeahnte Folgen. Er war nicht imstande, der gelehrten Diskussion zwischen den Confratres Franz und Albert zu folgen, die über die einzelnen Argumente des Dominikaners sprachen.
    »Er ist zweifelsohne ein Eiferer«, meinte Albert, »die domini canes waren das immer. Früher haben sie Ketzer verbrannt, und jetzt scheinen sie die Hexen für
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