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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler
Autoren: Tanja Kinkel
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sich entdeckt zu haben. Was, glaubt Ihr, wird …«
    Ludwig hörte nicht zu. In ihm hallten noch die Worte des Inquisitors wider, als seien sie für ihn gesprochen: »Ihr Anblick ist schön … Sie sticht und ergötzt zugleich; daher wird auch ihre Stimme dem Gesang der Sirenen verglichen, welche durch ihre süße Melodie die Vorübersegelnden anlocken … Die Blume der Liebe ist die Rose, weil unter ihrem Purpur viele Dornen verborgen sind.« Bei den ausführlichen Beschreibungen der Laster des Weibes gaukelte ihm seine Phantasie das Bild der Sarazenin vor, und das Wort ›unersättlich‹ begleitete ihn überallhin. Das Fasten hatte nicht geholfen, nicht im geringsten. Am Nachmittag schließlich verließ er heimlich das Kloster und machte sich erneut auf den Weg zu ihrem Haus.
    Er wurde von einem leicht verwunderten Richard willkommen geheißen, und der Gruß, den Zobeida aussprach, klang auch nicht sehr begeistert. Sie waren freundlich zu ihm, doch mit jeder Geste schienen sie auszudrücken, daß sie lieber alleingelassen werden wollten, daß er ihre Vertrautheit störte.
    »Frau Artzt«, stammelte er, »Frau Artzt, Ihr müßt mir helfen. Ich … ich brauche noch etwas von dem Trank, den Ihr mir neulich gabt.«
    »Ihr braucht eher etwas kühles Wasser«, erwiderte Zobeida.
    Bruder Ludwig wurde hinauskomplimentiert, und als er sich auf dem Rückweg zu seinem Kloster befand, verwünschte er seine eigene Schwäche. Wenn Fasten nicht half, dann würde er zu dem noch stärkeren Mittel der Flagellation greifen.
    Im Gegensatz zu Bruder Ludwig kam Bruder Albert mit seinen Schülern ausgezeichnet zurecht. Nicht nur für Richard war sein Griechischunterricht einer der Höhepunkte des Tages, um so mehr, da sie zur Zeit die Odyssee lasen. Bruder Albert hatte eine Art, die Abenteuer des Odysseus so wirklichkeitsnah wie die des Marco Polo erscheinen zu lassen. Die Frage nach den heidnischen Göttern umging er dabei elegant, indem er von der ›wunderbaren Einbildungskraft der Griechen‹ sprach.
    »Wir waren bei der Zauberin Kirke stehengeblieben«, sagte Bruder Albert mit seiner sonoren Stimme, »die Odysseus' Männer in Schweine verwandelt hatte. Ich konnte ja nicht ahnen, daß dieses Thema auf einmal so beliebt wird.«
    Durch die Schülerreihen ging ein leises Gelächter. Albert fuhr fort: »Hermes sagte zu Odysseus: ›Alle verderblichen Künste der Zauberin will ich dir nennen.‹ Ich bin sicher, unsere geschätzten Confratres von den Dominikanern würden so ein Angebot zu würdigen wissen. Aber das Folgende zeigt, daß sich ihre, ich meine, unsere christliche Behandlungsweise von Zauberinnen doch wesentlich von denen der Heiden unterscheidet. Richard, übersetze bitte.«
    Richard konnte nicht widerstehen; er imitierte den Tonfall des Dominikaners am letzten Sonntag und deklamierte mit tiefer Stimme: »Spring auf die Zauberin los und drohe sie gleich zu erwürgen. Diese wird in der Angst zu ihrem Lager dich rufen. Und nun weigre dich nicht und besteige das Lager der Göttin …«
    »Das genügt«, unterbrach Bruder Albert und hüstelte. »Ich denke, die Verderbnis der Griechen ist nun jedem klar. Kein Wunder, daß die Römer sie schließlich besiegten. Sie konnten einfach nicht mit ihren Zauberinnen umgehen.«
    Diesmal dauerte es einige Zeit, bis die Schüler sich wieder beruhigt hatten. Richard stellte sich eine Diskussion zwischen dem Inquisitor und Bruder Albert vor. Er sah förmlich, wie Albert mit seiner geschliffenen Rhetorik diesen lächerlichen Dominikaner auf Treibsand setzte.
    Kuno Hilpert, der Sohn eines der reichsten Bürger der Stadt, meldete sich und fragte: »Aber ich habe immer gehört, daß der Glaube der Heiden ein Beweis dafür ist, daß es Hexen und Zauberer schon immer gegeben hat.«
    Bruder Albert verschränkte die Arme ineinander. »Möchte vielleicht einer von euch darauf antworten?«
    Richard wartete nicht, bis er aufgerufen wurde, er platzte heraus: »Die Heiden haben auch an Götter, Titanen und die Medusa geglaubt. Ist das vielleicht ein Beweis?«
    Kuno fiel offensichtlich nichts mehr ein, doch Bruder Albert, der bei sich dachte, es könne Richard nicht schaden, etwas von seiner Selbstsicherheit zu verlieren, schüttelte den Kopf.
    »Richard, du enttäuschst mich. Das war ein Gegenargument, das noch nicht einmal die Sophisten gelten lassen würden. Überlege, und wenn du darauf kommst, wo dein Fehler liegt, veranschauliche uns das an einem weiteren Beispiel.«
    Richard spürte, wie alle Augen
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