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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Mo Hayder
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Patiences Empörung ignoriert er – wer ihr Essen verschmäht, spielt mit seinem Leben. Das Omelette wird er wahrscheinlich in seinem Bett wiederfinden, vielleicht unter dem Kopfkissen. Na und? Das Leben hat sich verändert. Er ist bereit, sich von der Strömung tragen zu lassen, wohin sie will.
    »Komm, Alter. Bringen wir’s hinter uns.«
    Das Tageslicht sickert durch einen alles erstickenden Nebel, der tief über den Feldern hängt. AJ hat Stewarts Leine nicht mitgenommen, und der Hund ist außer sich vor Begeisterung. Er rennt mit gesenkter Nase durch den Garten, und ab und zu bleibt er stehen und wirft einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass das kein Trick ist, dass er wirklich darf, was er hier tut.
    »Ist okay.« AJ winkt. »Sag mir nur, wo du bist.«
    Stewart läuft voraus – und die Richtung, die er einschlägt, ist nicht überraschend. Er läuft quer über das Feld und geradewegs zu dem Zaunübertritt, an dem der Weg in den Wald anfängt. AJ zieht die Fleecejacke fester um sich und folgt ihm. Stewart besitzt offenbar einen eingebauten Sicherheitsinstinkt, denn jetzt, da AJ nicht schreit und ihm befiehlt zurückzukommen, rennt er nicht blindlings weg, sondern wartet tatsächlich ab, bis AJ ihn gesehen und der Abstand sich verringert hat, und erst dann läuft er weiter.
    Im Wald hat sich nicht viel verändert. Alles ist ein bisschen feuchter, ein bisschen kälter, und an AJs Hosenbeinen hängen Tropfen von schmelzendem Reif, wo er Gestrüpp und Gras gestreift hat. Die Bäume haben noch ein paar Blätter verloren, aber ansonsten ist alles so wie vor einer Woche – auch der Weg, den Stewart nimmt und der auf die bewaldete Anhöhe führt, wo Old Man Atheys Obstgarten liegt. Sie kommen an der verrosteten alten Blechwanne vorbei und gehen weiter den Pfad entlang.
    Beim letzten Mal, als sie hier waren, war AJ nervös. Aber jetzt lasten Müdigkeit und Trauer auf ihm und dämpfen seine Angst. Gesicht und Hände sind kalt, davon abgesehen fühlt er wenig. Gehorsam stapft er immer weiter, bis sie auf die Lichtung kommen.
    Erst jetzt zögert Stewart. Er wartet am Rande der Lichtung, und das Fell auf seinem Rücken sträubt sich. Da steht die alte wandernde Eibe. Weiß wie Knochen. Stewart starrt sie an, aber er weicht nicht zurück.
    »Mein Gott, Stewart. Wenn das hier ein verlängertes Dating Game sein soll – ich meine, wenn du auf der Jagd nach irgendeinem Mädel bist, an das du dich allein nicht rantraust, kriege ich einen Humorausfall. Und zwar ziemlich bald.« Er sieht auf die Uhr. »In ungefähr zwanzig Sekunden.«
    Der Hund trabt los. AJ beobachtet ihn. Stewart hält den Kopf gesenkt und hat die Ohren flach nach hinten gelegt. AJ hat seinen Hund noch nie so gesehen.
    Er folgt ihm, und seine Schritte schmatzen im nassen Laub. Jetzt sieht er, dass der Baum im Kern verrottet ist, und in seinem Innern ist eine tiefschwarze Höhle. Der Baum müsste tot sein, aber er ist es nicht. Stewart ist hineingeschlüpft. AJ nimmt sein Handy aus der Tasche und stellt fest, dass er kein Netz hat. Er schaltet die Taschenlampen-App ein, legt eine Hand an den Wurzelbogen des Eingangs und leuchtet hinein.
    Er sieht eine irrwitzige natürliche Höhle mit glatten, wellenförmigen Wänden, blank poliert und glänzend. Er überlegt, wo er das schon gesehen hat, und dann fällt es ihm ein – es ist der Traum, der immer wiederkehrende Traum, der etwas damit zu tun hat, dass er nicht atmen kann. Der Traum von einer alles verzehrenden Kreatur. Von etwas, das Leben und Tod bedeutet. Etwas, das kein Ende und keinen Anfang hat.
    Hör auf, befiehlt er sich. Hör auf.
    Er atmet langsam und tief ein und aus, bis das beklemmende Gefühl in der Brust vergeht. Dann öffnet er die Augen und merkt, dass er auch ohne die Telefontaschenlampe genug sehen kann. Es fällt genug Licht herein. Er steckt das Handy ein. Geduckt kriecht er durch die Öffnung. Drinnen läuft Stewart herum und schnüffelt an jedem Spalt und jedem Winkel. Hier ist jemand gewesen; auf dem Boden liegen Sachen, die AJ sich gar nicht genauer ansehen möchte. Es riecht auch – wie in Beechway an einem schlechten Tag.
    »Hey«, zischt AJ, »was gibt’s denn hier? Hunde-Viagra oder so was?«
    Stewart ignoriert ihn und läuft tiefer in den hohlen Baum hinein. Jetzt sieht AJ, dass dort noch ein Bogeneingang ist. Man sieht ihn nur, wenn man ein verdammter Hund ist. AJ folgt ihm und streift die Spinnweben beiseite. Er muss auf Händen kriechen wie ein Spezialkommando, um
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