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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Mo Hayder
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öffnet sie die Vorhänge. Die Geister sehen sie und sind eingeschüchtert. Sie verneigen sich lammfromm. Sie setzen sich gehorsam ins Gras. Sie lächelt sie an, wirft den einen eine Kusshand zu und schaut die andern liebevoll, aber warnend an.
    »Gabriella?«
    Sie erschrickt. Jemand klopft an die Tür. In letzter Zeit waren Fremde in der Klinik und haben Fragen gestellt. Sich Notizen gemacht. Leute, die sie nicht kennt, in Anzügen, mit Clipboards. Sie will keinen von denen hier haben. Sie sucht im Zimmer nach einer Ecke, in der sie sich verkriechen kann.
    »Gabriella? Ich bin’s, AJ. Kann ich hereinkommen?«
    AJ. Der Beste unter ihren Kindern. Sie entspannt sich, schwebt zur Tür und öffnet sie. Da steht er. Sie liebt ihn so sehr.
    »Lieber AJ«, sagt sie. »Lieber Sohn.«
    »Ich mache jetzt Feierabend, Gabriella. Ich dachte, ich komme noch mal rein und sage …« Er lässt seinen Satz in der Schwebe und betrachtet ihre Kleider. »Schön. Du siehst … schön aus. Alles okay?«
    »Ja. Alles okay, danke. Und ich bin hier – in meiner Haut.« Sie lächelt. »Heute ist ein wichtiger Tag. Heute ist der Tag, an dem ich mich um meine Kinder kümmere. Und du, AJ? Du brauchst diese Fürsorge. Das kann ich sehen.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, du brauchst sie. Niemand sonst weiß es, aber ich. Ich kenne dich so gut, ich habe dich geboren, und ich weiß es. Du hast ein Loch in dir. Ein riesiges Loch, und du glaubst, man kann es nicht ausfüllen.«
    AJ senkt den Kopf und legt einen Finger an die Stirn. »Ich gehe dann«, sagt er gepresst und wendet sich hastig zur Tür. »Einen schönen Tag noch, Gabriella. Du siehst wunderbar aus.«
    »AJ?«
    »Was?«
    »Sei vorsichtig, AJ. Sei vorsichtig. Wir alle lieben dich.«
    Eden Hole Cottages
    Ein Beratungsteam im Auftrag des Kuratoriums ist damit beschäftigt, die Pflegepraxis in Beechway zu evaluieren, und mehrere Security-Mitarbeiter sind bis zum Ende der Ermittlungen vom Dienst suspendiert worden. Etliche Patienten hat man in einer geschlossenen Intensivtherapieklinik am Rande von Bath untergebracht.
    Beechway kommt bereits wieder auf die Beine – aber AJ nicht.
    Ein Loch. So hat Gabriella es genannt, und besser hätte sie es nicht beschreiben können. Als er an diesem Tag langsam über die gewundenen Straßen nach Hause fährt, sieht er sich als Kadaver. Eine graue Hülse in einem erschöpften Anzug, die in einem klapprigen alten Astra mit nicht zusammenpassenden Reifen sitzt.
    AJ und Patience sind inzwischen sicher, dass es Melanie war, die Stewart vergiftet hat. AJ hat im Keller eine geöffnete Packung Rattengift gefunden. Aber Melanie hat mehr als nur Tiere vergiftet – sie hat Herzen vergiftet. Er würde sie nicht zurückhaben wollen, selbst wenn es um sein Leben ginge. Lieber wäre er tot. Aber was er sofort zurückhaben will, ist der Seelenfrieden, den er hatte, bevor sie kam. Unendlich lange hat er den gehütet, und nur widerstrebend hat er ihn ihretwegen aufgegeben. Er hat geglaubt, er gehe eine erwachsene Beziehung ein, und er hat nicht geahnt, dass er dabei der einzige Erwachsene war. Melanie hat etwas aufgerissen, was er mit großer Mühe erfolgreich geheilt hatte, und jetzt ist da eine offene Wunde, die sich nicht wieder schließen will.
    »AJ, hörst du jetzt auf damit?« Zum Frühstück hat Patience ihm gebratene Kürbisstreifen und ein Omelette mit Trockenpilzen und Käse gemacht. Ungeduldig stellt sie ihm den Teller hin. »Ich hab’s allmählich satt. Du hast dir die Falsche ausgesucht. Ich habe versucht, es dir zu sagen, aber du wolltest nicht hören.«
    »Ich vermisse sie ja nicht. Ich bin nur …« Kopfschüttelnd starrt er auf sein Omelette. Er kann das nicht essen. Es ist Wahnsinn. Reiner Wahnsinn. »Ich bin nur müde.«
    »Ich auch. Ich habe genug von dir, und ich habe genug von deinem verdammten Hund – der offenbar glaubt, ich heiße Patience, weil ich so geduldig bin. Bin ich aber nicht.«
    »Das wissen wir alle.«
    »Na, dann sag’s auch dem Hund, ja?«
    AJ streicht sich mit den Händen über das Gesicht. Stewart liegt in der Ecke – nicht auf seinem gewohnten Platz neben dem Herd, sondern bei der Hintertür, und sein Blick ist hoffnungsvoll.
    »Ich bin endlos mit ihm draußen gewesen, und jetzt sieh dir sein Gesicht an. Der Hund begreift’s nicht.«
    AJ seufzt. Er schiebt seinen Stuhl zurück und lässt das Omelette unberührt liegen. »Komm, Stewart«, sagt er. »Wir gehen.«
    Er zieht Fleecejacke und Wanderstiefel an und öffnet die Hintertür.
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