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Die Prophetin von Luxor

Die Prophetin von Luxor

Titel: Die Prophetin von Luxor
Autoren: Suzanne Frank
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faßte nach meinem silbernen Ankh-Anhänger, um dessen Wärme in mein unterkühltes Blut sickern zu lassen. Die Rolle hatte eine Größe von etwa sechzig Zentimetern auf einen Meter. Der Papyrus war zu einem blassen Honiggelb gealtert, und die Ränder waren ausgefranst.
    Die Zeichnung darauf zeigte ein Dorf aus Lehmziegeln. Im Unterschied zu den zweidimensionalen Profilmalereien, die so typisch für die ägyptische Kunst sind, war dieses in einer realistisch wirkenden Perspektive dargestellt. Die Menschen waren nicht in Djellabahs gekleidet, wie es auf einem heute gezeichneten Bild der Fall gewesen wäre, sondern trugen altägyptische Schurze und enge Kleider.
    Cammy schob die Glasplatte beiseite, und ich starrte auf minutiös wiedergegebene Zeichnungen von Granatäpfeln, Feigen, Trauben, Honigklee, Palmen und verschiedenen anderen Pflanzen, die ich nicht ohne weiteres zu identifizieren vermochte. Unter jeder stand, wie ich annahm, der Name in Hieroglyphen. Fassungslos sah ich Cammy an.
    »Cammy, bist du sicher, daß dir da keiner einen Streich gespielt hat?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Der Papyrus ist antik. Wie ich den Inhalt erklären soll, weiß ich nicht. Das nächste ist das Meisterwerk; es war zusammengesetzt und außen extra eingeschlagen worden, wahrscheinlich weil es empfindlicher ist als die anderen.«
    Ich starrte auf die riesige, ausgebreitete Rolle. Im Gegensatz zu den anderen war sie quadratisch - etwa einen Meter sechzig auf einen Meter sechzig groß und ganz und gar mit einer detaillierten Illustration bedeckt - anders konnte man es nicht bezeichnen. Man sah eine breite Straße voller Menschen, Gegenstände und Tiere. In der Ferne erhob sich ein riesiges Tor, das sich von dem farblich fein abgestuften Himmel abhob. Ich schaute genauer hin. Anders als es oft bei Zeichnungen mit so vielen Details der Fall ist, waren viele Gesichter deutlich zu erkennen, und jedes war anders gezeichnet. Eine Mutter und ein Kind unterhielten sich über eine Gänseherde hinweg, die Mutter unter dem Gewicht eines Säuglings gebeugt, den sie auf dem Rücken trug, während das Mädchen sein krauses Haar mit einem Tuch um ihre Stirn gebändigt hatte. Ein alter Mann, dem der Bart bis auf die Brust reichte, stützte sich, umgeben von Schafen, schwer auf seinen Stock. Von der Perspektive des Künstlers aus gesehen rechts, sah man einen Mann.
    Er war für alle Zeit in seiner Bewegung erstarrt, den Kopf halb über die Schulter gewandt, als scherze er mit dem Künstler. Sein Gesicht war schmal und hatte hohe Wangenknochen, wodurch die langwimprigen Augen und die mit dicker ägyptischer Schminke verlängerten, dichten Brauen betont wurden. Sein Profil war glatt, die gerade Klinge seiner Nase mündete in volle Lippen und ein kantiges Kinn. Schwarzes Haar reichte ihm bis an Hals und Ohren und umrahmte einen Ohrring mit atemberaubenden Steinen.
    Mir stockte der Atem. Es war ein Meisterwerk. Er wirkte so echt. Winzige Furchen gruben sich in meine Fingerspitzen, so umkrampfte ich meinen Anhänger. Dunkle Bartstoppeln überzogen Kinn und Wangen des Mannes, und um Mund und Augen waren Falten zu erkennen. Er sah so aus, als wollte er eben zur Pointe ansetzen.
    »Ich kann ihn fast lachen hören«, hauchte ich.
    Camille war meiner Meinung. »Das Eigenartigste daran ist, daß dies die Darstellung einer ägyptischen Stadt zu sein scheint, und daß alle zur ägyptischen Grenze hin ziehen, die durch das Tor mit der Kobra und dem Geier symbolisiert wird, daß aber trotzdem nur wenige der abgebildeten Menschen Ägypter zu sein scheinen.«
    Cammy legte die anderen Bilder darüber.
    »Das ist alles, was du hast?«
    »Ja«, antwortete sie. »Es gibt noch viel mehr Rollen, aber die sind noch nicht ausgebreitet worden. Das ist eine sehr mühselige und zeitaufwendige Arbeit.« Ich sah zu, wie sie alle Spuren unseres unerlaubten Besuchs beseitigte.
    »Wie erklärst du dir das alles?« fragte ich, als wir wieder auf der Straße standen.
    »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es gibt keine Berichte über einen Massenexodus während der Zeit Thuts des Dritten - der hat in der Zeit von Ramses dem Großen stattgefunden, falls es ihn überhaupt gegeben hat. Wir wissen, daß Thut der Dritte ein Eroberer war, der viel Zeit außerhalb von Ägypten zubrachte und andere Völker unterwarf. Selbst wenn wir uns irren, was die ungefähre Zeit angeht, so haben wir keine Berichte über die Regentschaft seiner Vorgängerin Hat-schepsut und nur magere
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