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Die programmierten Musen

Die programmierten Musen

Titel: Die programmierten Musen
Autoren: Fritz Leiber
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und das Fernsehbild erlosch. »Sie-denken-bestimmt-es-liegt-wieder-an-der-schlechten-Übertragung«, erklärte er.
    Flaxman spannte seine letzte Rolle in die Maschine und wandte sich zu seinem Partner um. Cullingham bekam seine Stimme wieder in die Gewalt – jedenfalls soweit, daß sie von den Prestissimo-Pillen nicht mehr beeinträchtigt wurde. Tatsächlich kamen seine Worte jetzt in mühsamer Dehnung: »Wie lautet dein Urteil bisher?«
    Flaxmans regloses Gesicht nahm einen tieftraurigen Ausdruck an. Mit schmerzlich berührter Ehrerbietung, als habe er die tragischen Verluste bei einem Kindergartenbrand zu vermelden, sagte er leise: »Mist, alles Mist.«
    Cullingham nickte. »Meine auch, durch die Bank.«
     
     

42
     
    Gaspards erster Gedanke galt der Gewißheit, die er die ganze Zeit tief drinnen gespürt hatte – der Gewißheit, daß es so kommen mußte. Und irgendwie schienen die anderen insgeheim das gleiche Gefühl gehabt zu haben. Wie konnte man auch erwarten, daß diese ich-bezogenen Alten, unter Inkubatorbedingungen lebend, etwas Volkstümliches hervorbrachten – daß diese eingeschlossenen, verhätschelten Hyper-Amputierten aus dem Leben gegriffene Geschichten schrieben? Plötzlich wurden Flaxman und Cullingham in Gaspards Augen zu tragisch-romantischen Figuren, zu Anhängern einer verlorenen Hoffnung, zu Teilnehmern eines aussichtslosen Rennens, zu Opfern einer Sonnenuntergangsillusion.
    Und Flaxman zuckte auch tatsächlich die Achseln wie ein zu klein geratener romantischer Held, der tapfer die volle Last der Tragödie auf sich nimmt. »Noch-ein-Manuskript-anzusehen – Formsache«, sagte der Verleger scharf, beugte den Kopf und setzte seine Lesemaschine in Betrieb.
    Gaspard stand auf und scharte sich mit den anderen um Cullingham – Sargträger, die sich um den Direktor ihres Begräbnisunternehmens versammelten.
    »Es liegt nicht an mangelndem Können oder mangelnder Phantasie«, erklärte Cullingham, der seine Zunge jetzt wieder völlig in der Gewalt hatte, fast entschuldigend. »Und obwohl es vielleicht geholfen hätte, können wir es auch nicht auf fehlende redaktionelle Anleitungen zurückführen.« Bei diesen Worten schenkte er Gaspard und Zane ein leicht spöttisches Lächeln.
    »Nicht mal das einfachste menschliche Gefühl?« fragte Gaspard.
    »Und auch kein starker Handlungsfaden?« fügte Zane hinzu.
    »Oder Leseridentifikation mit den Helden?« warf Miß Rosa ein.
    »Oder auch nur Mumm?« endete Heloise.
    Cullingham nickte. »Aber was schwerer wiegt«, sagte er, »ist einfach die unglaubliche Eitelkeit dieser Wesen, ihre gigantische Egozentrik. Diese Manuskripte sind keine Geschichten, es sind Rätsel, die in den meisten Fällen auch noch unlösbar sind. Ulysses, Marsviolet, Alexanderplatz, Venus in Not, Die jungfräuliche Königin und die rätselhaften isländischen Barden kommen an unlösbarer Kompliziertheit nicht dagegen an. Es läuft darauf hinaus, daß die Eier versucht haben, sich so verwirrend wie möglich zu geben, um ihre Brillanz unter Beweis zu stellen.«
    »Ich habe ihnen doch gesagt –« begann Schwester Bishop und stockte. Sie weinte leise vor sich hin. Gaspard legte ihr sanft den Arm um die Schultern. Noch vor zehn Tagen hätte er jetzt gesagt: »Ich hab’s ja gleich gewußt« und einen neuen Lobgesang auf die Wortmaschinen angestimmt – aber jetzt war ihm fast auch nach Weinen zumute, und er war so verwirrt, daß ihn nicht einmal die philosophische Gelassenheit beeindruckte, mit der Cullingham den Zusammenbruch seines und Flaxmans Traumprojekts hinnahm.
    »Den Eiern kann man kaum die Schuld geben«, sagte der Lektoratsleiter verständnisvoll. »Da sie nun mal eingeschlossen leben und kaum mehr als Gehirne sind, war es ganz natürlich, daß Ideen für sie ein Gut sind, mit dem man herumspielt, das man zu seltsamen Mustern zusammenfügt und wie Perlen aufreiht und wieder neu anordnet. Eins von den Manuskripten hat sogar die Form eines epischen Gedichts und mischt manchmal in einem Satz bis zu siebzehn Sprachen zusammen. Ein anderes Gehirn versucht – auf seiner Ebene durchaus erfolgreich –, einen Abriß der gesamten Literatur zu geben – angefangen vom ägyptischen Totenbuch über Shakespeare und Dickens bis Hammerberg. In einem anderen Buch bilden die ersten Buchstaben der Worte einen völlig neuen Zusammenhang wissenschaftlicher Art – obwohl ich diesem zweiten Faden nicht bis zum Ende gefolgt bin. Ein anderes Buch … Oh, sie sind wirklich nicht schlecht. Manche
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