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Die programmierten Musen

Die programmierten Musen

Titel: Die programmierten Musen
Autoren: Fritz Leiber
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aus, hatte ein gesundes Empfinden und eine klare brunche Lebenshaltung (brunch war das Wort für ›menschlich‹ in der Robotersprache). Auf diese Weise war er intelligent wie kein zweiter Robot unter Millionen.
    Zane Gort sagte: »Es geht das Gerücht, Gaspard, daß ihr Menschenautoren streiken – oder sogar Gewaltakte begehen wollt.«
    »Das darfst du nicht glauben«, versicherte ihm Gaspard. »Heloise hätte mir bestimmt davon erzählt.«
    »Das freut mich zu hören«, sagte Zane höflich mit einem Surren, das seine unausgeräumten Zweifel ausdrückte. Plötzlich sprang ein elektrischer Funke von seinem erhobenen rechten Greifer zur Metallstirn über.
    »Entschuldige mich bitte«, sagte er, als Gaspard unwillkürlich zurückzuckte, »aber ich muß los. Seit vier Stunden knobele ich an einer Passage meines neuen Romans. Ich habe Dr. Tungsten in eine Situation gebracht, für die ich noch keine Lösung hatte. Eben ist mir eine eingefallen. Surr-ho!«
    Er verschwand wie ein blauer Blitz die Straße hinab.
    Gaspard setzte seinen friedlichen Weg fort und überlegte in einem Hinterstübchen seines Gehirns, wie es wohl war, wenn man vier Stunden lang mit einem Roman nicht weiterkam. Natürlich mochte es auch in einer Wortmaschine mal zu einem Kurzschluß kommen, aber das war doch nicht dasselbe. Ließ sich das Gefühl also eher mit einem sehr kniffligen Schachproblem vergleichen? Oder glich es mehr jenen schweren emotionellen Frustrationen, von denen die Menschen (und sogar die Autoren!) in der schlimmen alten Zeit angeblich geplagt waren, als es noch keine Hypnotherapien, Hyperberuhigungsmittel und ausdauernde Robot-Psychiater gab?
    Aber wenn das zutraf, wie fühlte sich eine solche emotionelle Frustration an? Gewiß, es gab Zeiten, in denen selbst Gaspard das Gefühl hatte, sein Leben wäre ein wenig zu ruhig, zu träge, selbst für einen Schriftsteller.
     
     

2
     
    Gaspards Überlegungen wurden durch den großen Buchstand unterbrochen, der das Ende der Leser-Straße bildete. Schimmernd wie ein Weihnachtsbaum ragte er vor ihm auf und gab ihm das Gefühl, ein Sechsjähriger zu sein, dem gleich vom Weihnachtsmann beschert wird.
    Das Innere der Taschenbücher hatte sich in den letzten beiden Jahrhunderten kaum verändert – dunkler Text auf hellem Papier –, doch die Umschläge hatten eine erstaunliche Entwicklung genommen. Was in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts nur in Ansätzen vorhanden gewesen war, hatte inzwischen Wurzeln geschlagen und war zu erstaunlicher Blüte gereift.
    Der magische Stereodruck mit 4-action Wiedergabe offenbarte winzige puppenhafte Mädchen, die sich in endloser Folge auszogen, ein Kleidungsstück nach dem anderen, oder wiederholt in durchsichtigen Gewändern an erhellten Fenstern vorbeischwebten. Bösewichte und Ungeheuer ragten drohend auf, Philosophen und Minister schauten würdevoll drein und präsentierten die Skala ihrer Gesichtsausdrücke. Blut spritzte, Tote schwankten, Brücken stürzten ein, Stürme zerpeitschten Bäume, Raumschiffe rasten in die sternenbesäte Unendlichkeit. Alle Sinne wurden zugleich attackiert – die Ohren vernahmen leise, zauberhafte Musik, so verlockend wie Sirenengesang, unterlegt durch das langsame Schmatzen von Küssen, den satten Ton von Peitschenschnüren auf weichem Fleisch, das leise Rattern von Maschinenpistolen und das unirdische Dröhnen von Atombomben.
    Gaspards Nase fing den Duft von Truthahn ein, von Kaminfeuern, Tannennadeln, Orangenhainen und Schießpulver, einen Hauch Marihuana und Moschus und dazu die Süße solch führender Parfüms wie Ter de Lance und Nebula Nummer Fünf; zugleich wußte er, daß sich die Bücher wie Samt, Nerz, Blütenblätter oder Spanisches Leder, wie handpoliertes Ahornholz, Bronzepatina, Venusianischer See-Kork oder warme Mädchenhaut anfühlen würden.
    Plötzlich kam es ihm gar nicht so übertrieben vor, drei intime Stunden mit Heloise Ibsen zu verbringen. Er näherte sich den dichtstehenden Taschenbüchern, die tatsächlich wie Schmuckkugeln an einem Weihnachtsbaum angeordnet waren (nur das modernistische Gestell mit Robot-Buchspulen bildete eine Ausnahme), und ging noch langsamer, um die Vorfreude voll auszukosten.
    Im Gegensatz zu den meisten anderen Schriftstellern seines Alters las Gaspard leidenschaftlich gern, ganz besonders die fast-hypnotischen Wortmaschinen-Produkte, die manchmal auch Wortschmalz genannt wurden – Texte voller warmer Adjektivwolken, voller Verben, die wilden Winden glichen, voller
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