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Die programmierten Musen

Die programmierten Musen

Titel: Die programmierten Musen
Autoren: Fritz Leiber
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Tagesschicht hatte sich nicht sehen lassen. Wächter-Joe schlief im Stehen neben der Stechuhr. Die anderen Besucher waren weitergewandert. Ein rosafarbener Roboter war von irgendwoher aufgetaucht und saß stumm auf einem Stuhl am anderen Ende des Gewölbes. Seine Greifer bewegten sich geschäftig; er schien zu stricken.
    V ATER : Das ist sie also, mein Sohn. Schau sie dir an. Langsam, so weit brauchst du dich nicht gleich zurückzulehnen.
    S OHN : Sie ist groß, Daddy.
    V ATER : Ja, sie ist groß, das stimmt. Das ist eine Wortmaschine, mein Sohn, eine Maschine, die Bücher mit Romanen schreibt.
    S OHN : Schreibt sie meine Geschichten?
    V ATER : Nein, sie schreibt Romane für Erwachsene. Deine kleinen Bücher werden von einer erheblich kleineren (nur kindgroßen) Maschine geschrieben.
    S OHN : Gehen wir weiter, Daddy.
    V ATER : Nein, mein Sohn. Du wolltest eine Wortmaschine sehen, du hast immer darum gebettelt, und ich mußte mir mit viel Mühe einen Besucherpaß ergattern. Du schaust dir das Ding also jetzt genau an und hörst mir gut zu, wenn ich sie dir erkläre.
    S OHN : Ja, Daddy.
    V ATER : Also, das funktioniert so … Nein … Also, das geht …
    S OHN : Ist sie ein Roboter?
    V ATER : Nein, sie ist kein Roboter wie der Elektriker oder dein Lehrer. Eine Wortmaschine ist keine Person wie ein Roboter, obwohl sie beide aus Metall bestehen und von Elektrizität betrieben werden. Eine Wortmaschine ist wie ein elektrischer Computer, nur daß sie sich mit Worten und nicht mit Zahlen abgibt. Sie ähnelt der großen schachspielenden Kriegsmaschine, außer daß sie ihre Züge im Rahmen eines Romans und nicht auf dem Schachbrett oder Schlachtfeld tut. Aber eine Wortmaschine lebt nicht wie ein Roboter und kann sich auch nicht bewegen. Sie kann nur Romane schreiben.
    S OHN (tritt gegen die Maschine): Dumme Maschine!
    V ATER : Das darfst du nicht, mein Sohn. Hör zu – es gibt eine Reihe von Wegen, eine Geschichte zu erzählen.
    S OHN (der gelangweilt weiter gegen die Wortmaschine tritt): Ja, Daddy.
    V ATER : Und wie das geschieht, hängt von der Wortwahl ab. Aber wenn ein Wort erst einmal ausgewählt ist, müssen die anderen Worte zum ersten Wort passen. Sie müssen die gleiche Stimmung oder Atmosphäre vermitteln und mit mikrometrischer Präzision in die Spannungskette passen. (Ich erkläre dir das später noch.)
    S OHN : Ja, Daddy.
    V ATER : Eine Wortmaschine bekommt das allgemeine Schema einer Geschichte eingegeben, greift auf ihre große Gedächtnisbank zurück – die sogar viel größer ist als Daddys Gedächtnis – und wählt das erste Wort nach freiem Willen aus; das nennt man den Trumpf aufdecken. Oder sie erhält das erste Wort durch den Programmierer. Aber bei der Wahl des zweiten Wortes muß sie darauf achten, daß es die gleiche Atmosphäre hat und so weiter und so weiter. Auf der Grundlage desselben Storyschemas und hundert verschiedener Anfangsworte würde sie – nacheinander natürlich – hundert völlig verschiedene Romane schreiben. Natürlich ist das Verfahren in Wirklichkeit viel komplizierter, zu kompliziert, als daß du es verstehen könntest, aber so funktioniert es im Grunde.
    S OHN : Eine Wortmaschine erzählt die gleiche Geschichte immer wieder mit verschiedenen Worten?
    V ATER : In gewisser Weise … ja.
    S OHN : Hört sich blöd an.
    V ATER : Das ist es aber nicht, mein Sohn. Alle Erwachsenen lesen Romane. Daddy liest Romane.
    S OHN : Ja, Daddy. Wer ist das?
    V ATER : Wo?
    S OHN : Die da kommt. Die Dame in den engen blauen Hosen, die oben ihre Bluse nicht zugeknöpft hat.
    V ATER : Ahem. Schau da nicht hin, Junge. Das ist auch eine Autorin.
    S OHN (der noch immer hinsieht): Was ist eine Autorin? Ist sie eine von diesen schlimmen Frauen, die dich in Paris angesprochen haben, wo du aber nicht wolltest?
    V ATER : Nein, nein! Eine Autorin ist eine Person, die sich um eine Wortmaschine kümmert, sie abstaubt und so weiter. Der Verleger tut so, als helfe der Autor der Wortmaschine beim Schreiben, aber das ist ein großer Schwindel, mein Sohn, ein lustiges Spielchen, um die Sache aufregender zu machen. Schriftsteller dürfen sich seltsam kleiden und benehmen – wie Zigeuner. Das gehört alles zu der Gewerkschaftsvereinbarung aus der Zeit, als die Wortmaschinen erfunden wurden. Du wirst sicher nicht glauben …
    S OHN : Sie tut etwas in die Wortmaschine. Ein rundes schwarzes Ding.
    V ATER (der sich nicht umdreht): Sie ölt etwas oder tauscht einen Transistor aus oder macht sonst etwas, das zu ihren
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