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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition)
Autoren: H. J. Anderegg
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Fahrt kommen während ihrer Show.
    Sie beschloss, dass die Zeit gekommen war, ihr Geheimnis zu lüften. Mit Charlies Hilfe schaffte sie es endlich, sich bemerkbar zu machen. Das fröhliche Geschnatter verstummte, und sie stellte sich vor einen Tisch, der mit einem Tuch bedeckt war, das bis auf den Boden fiel.
    »Es freut mich sehr, dass es euch hier gefällt«, begann sie und wartete, bis die mehr oder weniger originellen Zwischenrufe aufhörten. »Aber das Leben besteht nicht nur aus Spaß, hin und wieder muss man auch etwas lernen.« Wieder musste sie warten. Die Rufe wurden vorwitziger. »Ich weiß, das ist unangenehm, deshalb habe ich unseren lieben Kollegen aus dem Physiklabor gebeten, hier ein kleines, anschauliches Experiment aufzubauen. So ist dieser Abend wenigstens nicht ganz verloren.« Nun wurden die Rufe endgültig anzüglich. Die Meute amüsierte sich köstlich. Sie winkte die Leute näher heran. Der Physiker zog einen Korb unter dem Tisch hervor und baute das einfache Experiment auf. Unter dem Gelächter und rhythmischen Klatschen der Zuschauer stellte er eine Glasschale auf den Tisch, in der ein grober Ring so aufgehängt war, dass man das große Loch von vorne sehen konnte. Daneben legte er einen dünnen Metallstab mit farbig markierten Enden. Zuletzt holte er eine Kanne unter dem Tisch hervor, auf der in großen Lettern zu lesen war: ›Liquid Nitrogen‹ - ›Flüssiger Stickstoff‹. Dann setzte er umständlich die Schutzbrille auf, was das Publikum wiederum mit enthusiastischem Klatschen quittierte.
    »Einige unter euch, die nicht das ganze Studium verschlafen haben, werden ahnen, was unser Kollege gleich zeigen wird«, frotzelte Lauren. »Die Anderen sollen wenigstens diesmal aufpassen.« Sie zog einen kleinen Metallwürfel aus der Tasche, schwenkte ihn vor den johlenden Zuschauern wie ein Magier das leere Tuch und platzierte ihn mitten im Loch. Klirrend fiel er in die Glasschale. Sie nahm ihn heraus und gab dem Physiker ein Zeichen. Der musste sich offensichtlich beherrschen, um nicht zu zittern, als er den Verschluss der Kanne öffnete und vorsichtig damit begann, den Inhalt über die Versuchsanordnung zu schütten. Die auf beinahe minus 200 Grad Celsius abgekühlte Flüssigkeit begann sofort zu verdampfen und kühlte gleichzeitig den Ring. Er stellte die Kanne ab, nahm den Metallstab und zog ihn schnell durch den Ring. Dann trat er zurück. Lauren platzierte den Würfel wieder mitten im Loch. Wie durch ein Wunder blieb er diesmal schwebend dort hängen, festgehalten durch eine unsichtbare Kraft. »Nun, wer kann uns erklären, was hier vorgeht?« Alle Hände flogen in die Höhe. Wie Pennäler, die endlich einmal etwas begriffen hatten, buhlten die angesäuselten Zuschauer um die Aufmerksamkeit der schönen Lehrerin.
    Die Show entwickelte sich ganz nach ihrem Geschmack. »Professor Schmidt, bitte!«, rief sie mit hinterhältigem Lächeln. Der Dekan ließ sich nicht zweimal bitten. Trotz der hörbar schweren Zunge brachte er eine einigermaßen verständliche Erklärung des Phänomens zustande, das alle in diesem Raum ohnehin kannten. Der Ring bestand aus einem Material, das bei Abkühlung unter eine kritische Temperatur jeden elektrischen Widerstand verlor. Der Ring war ein Supraleiter, der Metallstab nichts Anderes als ein gewöhnlicher Dauermagnet. Die schnelle Bewegung des Magneten induzierte einen Strom, der ungehindert im Ring kreiste, solange dieser kühl genug blieb, ewig. Dieser kreisende Strom baute ein Magnetfeld um den Ring auf, in dem der kleine Würfel schwebte. Das Experiment war eine der üblichen, eindrücklichen Demonstrationen, dass es sich beim Ring um einen Hochtemperatur-Supraleiter handelte. Ein Material mit einer kritischen Temperatur, die schon mit flüssigem Stickstoff erreicht wurde, nicht erst mit dem viel teureren flüssigen Helium wie bei der ersten Generation von Supraleitern.
    »Sehr schön, Professor. Bleiben Sie ruhig noch ein wenig bei mir. Sie werden sicher auch den zweiten Teil des Experiments korrekt kommentieren.« Mit einer eleganten Bewegung streifte sie den Schmuck ab, den sie stets am linken Handgelenk trug und hielt einen der farbigen Reife in die Höhe. »Als was würden Sie das bezeichnen?« Die Zuschauer waren merklich ruhiger geworden. Lauren führte sie auf unbekanntes Territorium.
    »Ein Armreif, würde ich sagen«, antwortete Schmidt brav. Sie nickte, hielt den Würfel in die Mitte des Reifs. Wie erwartet fiel er auf den Tisch. Dann nahm sie den
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