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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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hatte mir nämlich auch gebeichtet, dass sie früher zumindest bei jedem zweiten Gespräch auf laut gestellt und ihre Mutter, um ja nichts zu verpassen, sogar ihre Toilettengänge verschoben hatte. »Die war und ist ein ganz großer Fan von dir.«
    »Ganz anders als die Tochter«, sagte ich.
    »Wer weiß, wer weiß«, sagte Elisabeth. »Hast du eigentlich schon ein Hotelzimmer reserviert?« Es war noch eine Woche bis zur Preisverleihung in Hamburg.
    »Nein, warum, ich dachte, ich schlafe bei dir im Zimmer.«
    »In deinen Träumen vielleicht.«
    »Gut, dann leg ich jetzt auf.«
    »Neihein, noch nicht auflegen. Wir haben doch gerade mal …«
    »… zwei Stunden miteinander telefoniert.«
    »Genau. Erzähl mir was. Ich mag so gern deine Stimme hören. Kannst du gleich noch mal anrufen?«
    Musste sie schon wieder auf Toilette? War der Akku leer? Oder wollte sie ihre Mutter zuschalten?
    »Warum denn?«
    »Ich will mich bettfertig machen. Dann kann ich gleich einschlafen, wenn wir aufgelegt haben.«
    Ich wusste, was jetzt kommen würde.
    »Du musst dich auch bettfertig machen.«
    Das hieß übersetzt: Zähne putzen, Gesicht eincremen, Schlaf-T-Shirt anziehen.
    »Na gut …«
    »Rufst du in fünf Minuten wieder an? Aber nicht vergessen.«
    |249| Tatsächlich klingelte schon drei Minuten später bei mir das Telefon. Ich hatte mich noch nicht einmal ausgezogen.
    »Ich bin’s, die Praktikantin. Hast du dich bettfertig gemacht?«
    »Ja, natürlich«, log ich.
    »Du kannst dir aber nicht ordentlich die Zähne geputzt haben«, sagte sie.
    »Nächste Woche mache ich das auf jeden Fall.«
    »Warum gerade nächste Woche?«
    »Weil ich doch bestimmt ein Siegerinnenküsschen kriege.«
    Während ich das sagte, wurde mir klar, dass ich seit einem halben Jahr keine Frau mehr geküsst hatte. Ein neuer, trauriger Rekord.
    »Der Herr Chefredakteur scheint seine zwischenzeitliche Zurückhaltung mir gegenüber ja wieder aufgegeben zu haben«, sagte Elisabeth.
    »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, sagt meine Mutter.«
    »Wie man was?«
    »Vergiss es. Ich habe übrigens das letzte Zimmer im
Le Meridien
bekommen. Wir verbringen also tatsächlich zum ersten Mal die Nacht unter einem Dach. Das kann was werden.«
    »Klingt ja richtig gefährlich«, sagte Elisabeth. »Aber ich weiß ja, dass ich dir vertrauen kann.«
    »Warum denn das?«
    »Ganz einfach: Hunde, die bellen, beißen nicht.«
    Sie musste auch mit meiner Mutter gesprochen haben.

[ Menü ]
    |250| FINALE
    Ich kam erst eine Stunde vor Beginn der Preisverleihung im
Le Meridien
an. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich Elisabeth nach mehr als einem Monat endlich wiedersehen sollte, hatte die Gewerkschaft der Lokomotivführer mal wieder die ICE-Verbindungen zwischen Köln und Hamburg bestreikt. Ich musste verschiedene Regional- und Bummelzüge nehmen und brauchte für die Strecke statt vier fast sieben Stunden. Ich schrieb Elisabeth eine SMS, dass wir uns vor dem Festakt wohl nicht mehr sehen könnten und ich direkt dorthin kommen würde. Der Medien-Award wurde nicht im
Le Meridien
verliehen, sondern fünfhundert Meter entfernt im Hotel
Atlantic
. Fünf Sterne hatten beide.
    Ich zog für den Abend den dunkelblauen Boss-Anzug an, den ich mir in einem früheren Leben für die Hochzeit mit Marie gekauft und bisher nicht angehabt hatte, und bat den Concierge, mir die neue, tiefrote Krawatte zu binden. Das hatte ich noch nie gekonnt. Im Hotelshop musste ich für 5,65 Euro eine Tube Gel kaufen, weil ich meine in Wützen vergessen hatte. Es war fünf vor acht, als ich im
Atlantic
ankam. Zum Glück gab es eine Gästeliste. Ich hatte nämlich auch meine Eintrittskarte zu Hause gelassen.
    Ich war, ohne je selbst etwas gewonnen zu haben, auf vielen Preisverleihungen gewesen. Der Medien-Award war mit Abstand die größte. Vierhundert Gäste drängten sich vor der kleinen Bühne im Saal mit den mächtigen Kronleuchtern. Hamburgs Bürgermeister hatte gerade mit der Begrüßungsrede angefangen. Ich nahm ein Glas Sekt, das auch Champagner gewesen sein kann, und stellte mich in eine der letzten Reihen.
    Elisabeth sah ich erst, als sie direkt vor mir stand.
    |251| »Da sind Sie ja endlich«, sagte sie und drückte mich, bevor ich mich über den Rückfall in die Siezerei wundern konnte, kurz an sich. Erst dachte ich, dass sie mir einen Kuss auf die Wange geben wollte, und setzte zu einem ebensolchen bei ihr an, bis ich merkte, dass sie mir nur etwas ins Ohr flüsterte: »Vor all den
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