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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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ich mir selten dämlich vor. Normalerweise lassen Chefs ihre, wenn auch ehemaligen Praktikantinnen nämlich nur aus einem Grund in ihren Wohnungen leben, oder? Mein unüberlegtes Angebot war deshalb ein Rückschritt bei meinem Bemühen, ein anständiger Vorgesetzter zu werden.
    Viel schlimmer und geradezu fahrlässig war aber, dass ich Elisabeth den Schlüssel zu einer Wohnung gegeben hatte, die Marie nahezu leergeräumt und die ich seit Wochen nicht mehr betreten hatte. Außer einem Bett, in dem ich nie geschlafen hatte, und einem Kühlschrank, in dem eine Flasche Heinz-Ketchup stand, gab es wenig, das eindeutig Kategorien wie Möbeln, Einrichtungsgegenständen oder gar Lebensmitteln zuzuordnen war. Elisabeth würde zwar nicht verhungern, dafür war der türkische Imbiss um die Ecke zu gut, aber auf dem Boden essen müssen. Vor allem würde sie denken, dass ich ein ziemlich gestörter Typ sein musste. Außerdem würde sie die vier Packungen mit jeweils achtzehn Kondomen finden, die im Badezimmer auf der Ablage neben der Wanne standen und die ich in der leichtsinnigen Vorstellung |241| gekauft hatte, bald Ehemann einer Frau zu sein, die die Pille genauso ablehnte wie den Einsatz einer Spirale oder das vorsichtige Aufsprühen von Vaginalschaum. »Verhütung ist Männersache«, hatte Marie gesagt, und da ich davon ausgegangen war, dass dies keine Aufforderung war, meiner Zeugungsfähigkeit ein für alle Mal ein Ende zu setzen, hatte ich bei Rossmann Kondome gekauft. Natürlich immer zusammen mit Duftkerzen, Haargel, verschiedenen Deos, Tees und Badezimmerreinigern. Nichts ist schlimmer als eine Kondompackung, die allein auf dem Kassenband liegt. Aber ich schweife ab.
    Ich konnte die Wohnung nicht so lassen, wie sie war. Ich musste sie einrichten, ich hatte dafür knapp vier Tage Zeit und zum Glück noch einen Ersatzschlüssel. Ich erfand eine Dienstreise und erzählte Frau van Daggelsen in meiner Verzweiflung, dass ein guter Freund von mir einen thailändischen Massagesalon in der Nähe von München eröffnen wolle und dafür jede Menge asiatisches Zeug brauche. Ein paar Buddhas, irgendetwas mit chinesischen Schriftzeichen, Räucherstäbchen und so weiter. Sie packte ein komplettes Schaufenster in zwei große Kartons, die ich früh am nächsten Morgen und in größter Panik, jemand könne mich sehen, zum Bahnhof schleppte. Acht Stunden später hatte ich aus dem Schlafzimmer eine Art Buddhatempel gemacht. Nur der Hinweis, dass man am Eingang bitte seine Schuhe ausziehen möge, fehlte.
    Ich beschloss, alle Zimmer zu Themenräumen umzugestalten, weil ich in irgendeiner Zeitschrift mal gelesen hatte, dass das jetzt hip sei. Ich kaufte am nächsten Tag bei
Ikea
, dem
Home of Trends
und
Marroko-Möbel
für mehr als 3000 Euro ein und bestach den ägyptischen Besitzer von
Marokko-Möbel
, den angeblich aus Marrakesch stammenden Esstisch noch am Abend anzuliefern. Im
Home of Trends
hatte es vier Regale mit allem möglichen Nord- und Ostseezeug gegeben, weswegen ich auf die Idee kam, aus einem Zimmer einen Meerzweckraum zu machen.
Ikea
hatte Schaffelle im Angebot oder zumindest Teppiche, |242| die wie Schaffelle aussahen und von denen fünfzehn Stück komplett den Boden des dritten Raums bedeckten, der dank der Marokko-Möbel mein Orientzimmer wurde. Für Raum Nummer vier fehlten mir dann Phantasie und Zeit. Er wurde durch den Naturrasen etwas zwischen Fußballplatz und Liegewiese. Ich kaufte bei
Edeka
noch so viele Lebensmittel ein, wie in den Kühlschrank passten, und war froh, dass Marie mir wenigstens das alte Geschirr und die Gläser von Urgroßtante Else dagelassen hatte.
    Als mir Elisabeth per SMS schrieb, sie sei im Zug, und plötzlich anfing, mich zu duzen, stand ich selbst am Bahnhof München. Auf meiner Rückfahrt nach Wützen kamen mir zwei ICE entgegen. In einem musste Elisabeth sitzen und sich fragen, warum ich nicht antwortete. Sie schien nicht froh darüber zu sein, denn je länger ich nichts von mir hören ließ, desto lieber wurden ihre SMS und die Botschaften auf meiner Mailbox. Es war das alte Spiel, wie meine Mutter sagen würden: »Nur wer sich rarmacht, wird vermisst« (oder so ähnlich, es war einer dieser Sprüche aus der Reihe: »Andere Mütter haben auch hübsche Töchter« und »Jeder ist seines Glückes Schmied«), aber daran dachte ich damals nicht. Ich war stolz auf jede Stunde, in der ich nichts zurückgeschrieben hatte, so wie ein frischer Nichtraucher stolz über jede Minute ist, die er keine
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