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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat
Autoren: Christa S. Lotz
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Mundwinkeln, und seine Augen glitzerten wie schwarzer Onyx.
    »Unsere Magd Kathrin, die kleine Schwatzbase, hat dir sicher schon erzählt, dass uns die Einquartierung der adligen Nachbarn bevorsteht«, sagte er.
    »Das hat sie. Fürchtest du auch …?«
    »Es wird zu eng hier oben. Ich kann mich kaum bewegen, wenn sie da sind. Das war schon einmal der Fall. Vor allem können wir uns dann nicht mehr mit der Familienchronik befassen.«
    »Sollen wir nicht auf unsere Residenz in Peterszell ausweichen?«
    »Dort herrscht ebenfalls zu viel Geschäftigkeit. Teresa, die Aufgabe, diese Chronik zu vollenden, sehe ich geradezu als heilig an, die dürfen wir auf keinen Fall vernachlässigen.«
    »Nun gut«, sagte sie. »Noch ist ja Zeit, noch hat keiner von ihnen ans Tor geklopft. Wir werden nachher weiterarbeiten. Aber eins möchte ich dich noch fragen: Sollte Barbara nicht zu uns kommen? Im Kloster Inzigkofen ist sie nicht sicher. Vom Schmalkaldischen Bund und dem Kaiser aus wird es bestimmt auch hier zu kriegerischen Handlungen kommen.«
    »Ich habe gestern einen Boten nach Inzigkofen hingeschickt. Er kehrte unverrichteter Dinge zurück; deine Schwester wollte ihrem Gelübde treu bleiben. Und vielleicht ist es besser so.«
    »Du meinst, weil sie … blind ist?«
    »Sie müsste hier auf engstem Raum mit Männern leben.«
    Der Diener Caspar, gekleidet in ein schwarzes Wams und graugestreifte Halbhosen, kam mit einer silbernen Kasserolle herein, stellte sie mit einer angedeuteten Verbeugung auf den Tisch und hob den Deckel. In Butter geröstete Weißbrotscheiben häuften sich neben glänzenden Artischockenherzen. Caspar stellte einen Gewürzständer in Form eines Schwanes daneben. Im Rücken und in den Flügeln des Tieres befanden sich Höhlungen, die mit Salz, Muskatblumen und Pfeffer gefüllt waren. Der Diener wünschte einen gesegneten Appetit und entfernte sich. Der zweite Diener mit Namen Heinrich trat ein und setzte einen Krug mit frischem, schäumendem Bier auf dem Tisch ab, einen anderen mit Wasser. Im Gegensatz zu Caspar, der groß und hager war, empfand Teresa Heinrich als klein, dicklich und verschlagen, weil er stets in eine andere Richtung schaute, wenn ihn der Blick eines Menschen traf.
    »Den Herrschaften möge es wohl bekommen«, näselte er mit einer Stimme, die Teresa schon immer unangenehm gewesen war.
    »Können wir nicht einen anderen Diener einstellen?«, fragte Teresa, nachdem Heinrich sich entfernt hatte. »Er ist mir unheimlich.«
    »Es ist nicht leicht, hier auf dem Land Dienerschaft zu bekommen«, antwortete ihr Vater. »Jetzt lass uns beten.«
    Teresa faltete die Hände, senkte die Augen auf den Tisch, und gemeinsam sprachen sie die Worte:
    Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
    sondern von jedem Wort,
    das aus dem Munde Gottes geht.
    Amen.
    Teresa war so hungrig, dass sie am liebsten die Hälfte des Gemüses auf ihren Teller gehäuft hätte. Doch sie besann sich ihrer Erziehung, spießte eine Brotscheibe auf ihr Messer, legte ein paar Artischocken dazu und streute Gewürze darüber. Ihr Vater nahm nur ein Stück Brot.
    »Du isst spartanisch wie eh und je«, neckte sie ihn. »Ich fragemich, warum du nicht noch mehr vom Fleisch gefallen bist – du ernährst dich ja von nichts anderem als von Brot und Wasser!«
    »Dafür habe ich eine Tochter, die sich keinen Genuss entgehen lässt«, gab er zurück. »Doch nein, es erfreut mich immer wieder zu sehen, dass es dir schmeckt und du auch Freude am Kochen hast. Das wird dir einmal von Nutzen sein.«
    »Zum Nutzen für wen?« Sie blickte ihn einen Moment lang schärfer an, als sie es beabsichtigt hatte.
    »Nun ja, irgendwann werden wir die Chronik beendet haben, und irgendwann wird es auch Zeit für dich, dein Leben an der Seite eines Mannes zu verbringen.«
    »Daran möchte ich nicht denken. Ich bin für etwas anderes geboren.«
    »Ich weiß schon, du willst schreiben, etwas von der Welt sehen … Leider ziemt sich das nicht für ein Mädchen von Stand.«
    »Ich habe Petrarca gelesen«, erwiderte Teresa. »Wie du weißt, ist er im Jahr 1336 auf den Mont Ventoux gestiegen, einzig zu dem Zweck, sich selbst und der Natur näher zu kommen.« Sie zitierte: » Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst. – Ich möchte wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen«, fuhr sie fort.
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