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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte
Autoren: Patrick Lee
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Zentimetern fing er an zu kippen, und Jackley hob die Hand, damit die Männer zu ziehen aufhörten.
    «Zieht uns weg», sagte er.
    Die anderen stemmten die Hände gegen die Stahlträger an der Schachtwand, um die Plattform so weit von der dicken Stahltür wegzuziehen, dass der Zapfen in die Tiefe stürzen konnte, ohne die Plattform zu treffen. Jackley lehnte sich vorsichtig vor, den dicken Bauch an das Sicherheitsgeländer der Plattform gedrückt, und zog mit einem letzten Ruck an dem Magneten.
    Der Zapfen kippte aus der Öffnung und plumpste hinab in die pechschwarze Finsternis. Stille, während er neun Stockwerke tief stürzte. Dann der Aufprall. Wiedas Donnern einer Kanone an Deck eines Kriegsschiffs. Pilgrim spürte den Nachhall in seinen Knochen. Ein tolles Gefühl, ein toller Augenblick. Auch Jackley und die anderen strahlten über das ganze Gesicht, während sie zu ihm hochschauten. Sie sahen so glücklich aus, dass er lachen musste.
    Jetzt brauchte sich Jackley nur noch durch das Loch in der Stahltür zu schlängeln und im Labor, drei Meter von der Tür entfernt, auf den Knopf der Zentralentriegelung zu drücken, dann würden sich die Türen weit öffnen. Die Männer ließen die Schachtwand los, und die Plattform schwang wieder nach vorn. Jackley packte den Rand der Öffnung, stellte sich breitbeinig hin und steckte Kopf und Oberkörper hinein. Schnell war er halb hindurchgekrochen und strampelte geradezu komisch mit den Beinen in der Luft. Die Männer lachten und schoben an seinen Füßen, um ihm zu helfen.
    Dann war ein Kreischen zu vernehmen, irgendwo hoch über ihnen in der pechschwarzen Finsternis des Schachts. Kein menschliches Kreischen, ein metallisches Kreischen. Als würde irgendein Mechanismus schrill und heftig protestieren. Und dann nachgeben. Stille.
    Die Männer hörten auf zu lachen und schauten nach oben.
    Jackley hörte auf zu strampeln. «Was war das denn?», ließ sich seine Stimme gedämpft aus der Öffnung vernehmen, die jetzt fast vollständig von seinem stattlichen Hinterteil ausgefüllt war.
    Eine weitere Sekunde lang tat sich nichts. Dann spürte Pilgrim einen Luftzug. Einen ganz sanften Luftzug, der den Aufzugschacht hinabfächelte und aus der offenen Tür um ihn herum drang. Offenbar spürten das auch dieMänner unten auf der Plattform, deren Haare sich leicht in der Luft bewegten.
    Dann zuckte einer von ihnen heftig zusammen und schrie los wie am Spieß. Gleich darauf sah Pilgrim in der offenen Tür vor sich, nur den Bruchteil einer Sekunde lang, Metall vorübersausen, dann rissen die Tragekabel der Plattform mit einem vernehmlichen
Pläng
, unmittelbar gefolgt von einem grauenhaften Getöse direkt unterhalb. Pilgrim taumelte von den offenen Türen zurück, und zwei Sekunden später erfolgte unten im Schacht ein Aufprall, so ohrenbetäubend laut, dass das Donnern des Stahlzapfens rein gar nichts dagegen war.
    Das Echo hallte noch lange im Schacht nach. Als es endlich verstummte, hörte Pilgrim in der Stille ein hohes, klägliches Wimmern. Er trat wieder an die offenen Türen und spähte hinab ins Dunkel, wo gerade noch die Plattform gehangen hatte. Jetzt befand sich dort nur noch gähnende Leere. Erst eine Schrecksekunde später begriff er, was er dort unten noch sah, und da begriff er auch, wo das Wimmern herkam.
    Jackley. Säuberlich durchgetrennt, dort, wo der Aufzug an der Öffnung in den Stahltüren vorübergesaust war. Durchgesäbelt wie ein Querschnitt in einem Lehrbuch für Anatomie, mitten durch seinen Unterleib hindurch. Aus seinem halbierten Körper kam Blut gepumpt wie aus einem Schwamm, der zusammengedrückt wurde. Er lebte noch. Hing mit der oberen Körperhälfte immer noch in dem Labor, wo Pilgrim ihn nicht sehen konnte. Aber hören konnte er ihn. Das Wimmern hörte und hörte nicht auf, hoch, piepsig, mal lauter, dann leiser.
    Verflucht, das konnte doch wohl kaum Teil des Plans sein. Warum nur hatte das Flüstern das zugelassen?
    Pilgrim drehte sich um. Schaute zu dem Stahlbehälter, der nur anderthalb Meter weiter weg stand und aus dessen Ritzen blaues Licht strömte.
    Er wollte darauf zugehen, kam aber nicht mehr dazu. Weil etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte.
    Eine Pistole. Die einen Meter vor ihm in der Luft hing und auf sein Gesicht zielte.
    Stille senkte sich über den Flur. Auch Jackleys Wimmern war endlich verstummt. Die Pistole hing ruhig und reglos vor ihm in der Luft.
    «Aber ich habe doch alle seine Anweisungen befolgt», sagte Pilgrim
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