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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin
Autoren: Martin Davies
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ungleich härter als zuvor.
    »Möglicherweise wissen Sie nicht, wer ich bin, Sir. Meine Familie empfängt keine Besuche. Unsere Nachbarn kommen nicht zu uns, und wir erwarten sie auch nicht.«
    Er lächelte und verbeugte sich abermals.
    »Leben Sie wohl«, sagte er. »Bis wir uns wieder sehen.«
     
    Aus Gründen, die ihm unklar blieben, ging sie ihm nicht mehr aus dem Sinn. Vielleicht war es der ungewöhnliche Umstand, dass sie allein war, vielleicht auch ihr Verhalten beim Zeichnen. Noch mehr aber lag es daran, dass sie den Eindruck einer Person erweckte, die sich den Blicken der anderen entzog, und er ertappte sich dabei, dass er Mutmaßungen über die Gefühle anstellte, die sie in ihrem Innern wie hinter einem Schutzwall verbarg.
     
    Am nächsten Morgen machte Banks mit seiner Schwester Sophia Besuche im Dorf. Die Sonne schien, und die Wiesen waren erfüllt vom Duft des Sommers. Er spürte die frische Luft und den Sonnenschein auf seinen Wangen. Angesichts der drohenden Gefahren seiner großen Reise hatte er sich nie lebendiger gefühlt.
    Wohl gelaunt absolvierten sie ihre Besuche. Banks freute sich, mit seiner Schwester zusammen zu sein, und sie freute sich, den Bruder ihren Nachbarn vorzustellen. Die sommerliche Stimmung dauerte bis zum Dorfrand an. Als Sophia umkehren wollte, hielt Banks sie zurück und deutete auf ein kleines Steinhaus vor ihnen.
    »Ich habe gehört, das schwarze Schaf der Gemeinde ist unwohl, Sophia. Der Mann liegt im Sterben, heißt es. Ich würde gern bei ihm vorsprechen, um zu sehen, wie es ihm geht.«
    »Aber nein, Joseph!« Sie zog ihn am Arm zurück, und ihre Miene war plötzlich ernst. »Seit diesem Vorfall ziemt es sich nicht mehr, dorthin zu gehen. Zudem hat er einen Anfall erlitten und nimmt seither nichts mehr von seiner Umgebung wahr, nicht einmal seine eigene Schande, fürchtet man.«
    Doch Banks ließ sich nicht beirren. Mit fester Hand führte er seine Schwester so lange weiter auf das Haus zu, bis eine Umkehr wie eine bewusste Brüskierung ausgesehen hätte und nicht mehr in Betracht kam. Eine ältere Frau öffnete die Tür und sagte ihnen, die Tochter des Hauses sei nicht anwesend und der Herr nicht in der Lage, Besucher zu empfangen.
    »Ob Sie ihm wohl meine Karte geben könnten, Schwester, damit er weiß, dass ich da war?«, bat Banks die Pflegerin.
    »Ich fürchte, er wird nichts davon erfassen, Sir.«
    Banks nickte, die Karte noch in der Hand. Er wollte noch mehr sagen, doch der Druck von Sophias Hand auf seinem Arm bewog ihn, sich mit einem erneuten Nicken zu entfernen.
    Als sie durch einen Wald namens Slipper Wood nach Hause zurückkehrten, bemerkte Banks eine Bewegung zwischen den Schatten. Sie hielten inne und blickten in die Richtung, bis sie erkannten, dass es sich um die weiß gekleidete Gestalt einer Frau handelte. An einem Baumstamm blieb sie stehen und betrachtete ihn. Eine Weile verharrte sie so, dann begann sie den Stamm zu umrunden, das Gesicht immer nahe an der Rinde. Wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt, ging sie zum nächsten Baum und wiederholte das Ritual.
    »Das ist die Tochter des Kranken, fürchte ich«, sagte Sophia. »Man sieht sie häufig allein im Wald. Das trägt nicht eben dazu bei, den Ruf der Familie bei den Leuten im Dorf wiederherzustellen.«
    »Wie alt ist sie?«, wollte Banks wissen.
    »Sie muss sechzehn oder siebzehn sein.«
    Er beobachtete sie noch eine Weile. An seinem Gesicht war gegen die Sonne nichts abzulesen.
    »Was macht sie hier im Wald?«, fragte er.
    »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hofft sie, die Aufmerksamkeit eines vorbeikommenden Gentlemans von empfänglichem Naturell auf sich zu ziehen. Dabei sieht sie ganz und gar gewöhnlich aus und hat keinerlei Aussichten.«
     
    Am Abend gesellte sich Dr. Taylor aus dem Dorf zu der Gesellschaft in der Abtei. Sophia berichtete, was sie im Slipper Wood gesehen hatten, und wandte sich dem Arzt zu, um sich seiner Unterstützung ihrer Missbilligung zu versichern.
    »In der Tat. Das junge Mädchen ist äußerst schwierig«, sagte er. »Seit dem schändlichen Auftritt ihres Vaters geht sie uns allen in auffälligster Weise aus dem Weg. Als hätte das Unglück sie altern und hart werden lassen. Ich fürchte, sie ist allzu viel allein.«
    Banks nickte, und das Gespräch wandte sich anderen Themen zu.
    Am nächsten Morgen holte er ein Vergrößerungsglas aus seinem Arbeitszimmer und kehrte zu der Stelle im Wald zurück, an der er sie zuletzt gesehen hatte. So versunken stand er dort,
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