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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London
Autoren: Daniel Defoe
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war die Regierung, und wir konnten nichts dagegen ausrichten; wir konnten nur erklären, daß dies nicht von uns ausging und daß wir nicht dafür verantwortlich seien.
    Andererseits konnten wir den Reformierten ebensowenig recht geben, wenn sie einzelne Geistliche der Anglikanischen Kirche anschuldigten, sie seien fortgelaufen und seien ihrem Amte untreu geworden, indem sie ihre Gemeinden in der Gefahr und gerade dann, als sie am meisten des Zuspruchs bedurften, im Stich ließen, und so fort; es haben eben nicht alle Menschen den gleich starken Glauben und den gleichen Mut, und die Schrift gebietet uns, im Urteil mit möglichster Milde und nach dem Maßstab der Liebe zu verfahren.
    Eine Pest ist ein fürchterlicher Feind, und er ist mit Schrek-ken bewaffnet, denen zu widerstehen nicht jedermann genü-
    gend gerüstet oder deren Überrumpelung standzuhalten nicht jeder gefaßt genug ist. Zwar ist es unbestreitbar, daß eine ganze Reihe von Geistlichen, die in den Umständen waren, es zu tun, sich davonmachten und um der Sicherheit ihres Lebens willen die Flucht ergriffen; aber es ist ebenso wahr, daß eine große Anzahl von ihnen dablieb und daß viele von ihnen in der Katastrophe umkamen und Opfer ihrer Pflichterfüllung wurden.
    Es stimmt, daß einige der von den Reformierten ordinierten Geistlichen dablieben, und deren Mut verdient Bewunderung und Hochschätzung, aber so viele waren es auch wieder nicht; es kann ebensowenig gesagt werden, daß sie alle geblieben seien und keiner von ihnen aufs Land gegangen sei, wie man von den anglikanischen Geistlichen sagen kann, sie seien alle fortgelaufen. Auch haben die, die fortgingen, es nicht immer getan, ohne Kapläne oder andere mit ihrer Stellvertretung zu betrauen, damit die notwendigen Dienste verrichtet und die Kranken besucht würden, soweit das überhaupt durchführbar war; so hätte man, auf beiden Seiten, besser den Mantel der 299

    Liebe ausbreiten sollen, und wir hätten bedenken sollen, daß diese Zeit von 1665 ihresgleichen nicht in der Geschichte findet und daß es nicht nur der größere Mut ist, der die Menschen in solchen Situationen aufrechterhält. Ich hätte dies nicht gesagt, sondern mich lieber darauf beschränkt, die Stärke und den religiösen Eifer derer zu verzeichnen, die, auf beiden Seiten, sich tatsächlich im Dienste für die armen Menschen in ihrer Not hingaben, und wenn einer auf dieser oder jener Seite versagt hat, so hätte ich das übergangen. Aber der Mangel an Feingefühl unter uns hat das Gegenteil notwendig gemacht: Da rühmten sich einige von denen, die geblieben waren, nicht nur zu sehr, sondern beschimpften die, die geflohen waren, brand-markten sie als Feiglinge, die ihre Herde im Stich gelassen und sich wie Mietlinge benommen hätten und dergleichen mehr.
    Ich möchte es allen guten Menschen empfehlen, mit Wohlwollen Rückschau zu halten und sich gehörig der Schrecknisse der Zeit zu erinnern, und wer das tut, wird einsehen, daß mehr als gewöhnliche Stärke dazu gehörte, auszuhalten. Es war nicht, wie wenn man an der Spitze eines Heeres auftrat oder eine Kavallerieattacke ritt, sondern es war ein Schlacht gegen den Tod selbst, auf seinem fahlen Roß; zu bleiben hieß zu sterben, um weniger ging es nicht, besonders wie die Dinge Ende August und Anfang September aussahen und wie man damals die Zukunftsaussichten beurteilen mußte; denn niemand erwartete, und ich möchte sagen, niemand hätte es für möglich gehalten, daß die Seuche eine so plötzliche Wendung nehmen würde, wie es dann geschah, und sogleich um 2000 Tote in der Woche zurückgehen würde, während man doch wußte, daß eine so ungeheure Zahl von Menschen damals krank war; und zu dem Zeitpunkt geschah es, daß viele sich noch davonmachten, die bis dahin geblieben waren.
    Außerdem: Wenn Gott einem mehr Kraft gab als dem anderen, war es, damit dieser sich brüste, wie er im Getümmel standzuhalten vermocht habe, und damit er die schmähe, die 300

    diese Gabe und den gleichen Beistand nicht hatten? Oder hätte er nicht besser demütig und dankbar sein sollen, daß er sich hatte nützlicher machen können als seine Mitbrüder?
    Ich meine, diese Männer sollten in ehrenhafter Erinnerung gehalten werden: Geistliche sowohl wie Ärzte, Wundärzte, Apotheker, Beamte aller Art und alle anderen hilfreichen Menschen, die in der Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben aufs Spiel setzten; denn das taten sie sicherlich alle, die dablieben, und zwar bis zum Äußersten, und eine
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