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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London
Autoren: Daniel Defoe
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wußte ich doch, daß die Astronomen diesen Erscheinungen natürliche Ursachen zuschreiben und daß ihre Bewegung, ja ihre wiederkehrende Bahn berechnet werden kann, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, so daß man sie nicht mit vollem Recht die Vorläufer oder die Ankünder, noch viel weniger aber die Anstifter von solchen Ereignissen wie Pestilenz, Krieg, Feuer und dergleichen nennen kann.
    Aber mögen meine Ansichten und die Ansichten der Philosophen sein oder gewesen sein, was sie wollen, diese Dinge übten jedenfalls einen außerordentlichen Einfluß auf das gewöhnliche Volk aus, und die Niedergeschlagenheit und die Furcht vor einer schrecklichen Drangsal, die als Strafgericht über die Stadt heraufziehe, waren fast allgemein; und das rührte in der Hauptsache von dem Anblick dieses Kometen her und von dem kleinen Aufschrecken, das der Tod der beiden Menschen in St. Giles im Dezember, wie beschrieben, verursacht hatte.
    Die Angst der Leute wurde weiterhin auffallend durch den 29

    Irrglauben der Zeit gefördert, der, aus Gründen, für die ich keine Erklärung habe, das Volk, ich glaube mehr als jemals zuvor und jemals danach, in den Bann von Prophezeiungen, astrologischen Horoskopen, Traumauslegungen und Altwei-bergeschichten zog. Ob dieser unselige Geisteszustand ursprünglich durch den Unfug gewisser Leute, die damit Geld verdienten, hervorgerufen wurde (das heißt, sie gaben Vorhersagen und Zukunftsprognosen in Druck), weiß ich nicht; aber sicher ist, daß Bücher einen gewaltigen Schrecken verbreiteten, so etwa Lillys Almanach, Gadburys Astrologische Voraussagungen, Poor Robins Almanach, und dergleichen; auch einige angeblich religiöse Bücher, eines mit dem Titel: »Komm fort von dem Ort, mein Volk, damit du nicht Teilhaber seiner Plagen wirst!«; ein anderes hieß: »Aufrechte Warnung«; noch ein anderes: »Britanniens Anmahner«; und davon gab es viele, und alle, oder doch die meisten von ihnen, sagten offen oder versteckt den Untergang der Stadt voraus. Ja, einige Schwarmgeister waren so toll, daß sie auf den Straßen umherrannten und mündlich ihre Vorhersagen verkündeten, vorgebend, sie seien gesandt, der Stadt zu predigen; an einen denke ich besonders, der, gleich einem Jona in Ninive, durch die Straßen schrie:
    »Vierzig Tage noch, und London wird zerstört werden.« Ich möchte mich nicht festlegen, ob er sagte: noch vierzig Tage, oder: noch einige Tage. Ein anderer rannte, nackt bis auf eine Unterhose, umher und schrie, ähnlich jenem Manne, von dem Josephus erwähnt, daß er »Weh über Jerusalem!« gerufen habe, kurz bevor es zerstört wurde. So schrie dieser arme nackte Kerl: »Oh, der große und schreckliche Gott!«, und sonst sagte er nichts, sondern wiederholte nur immerfort diese Worte, mit einer Stimme und einem Angesicht, die grauenvoll waren, und dabei hielt er immer einen raschen Schritt ein; niemand hat ihn je stehenbleiben oder ausruhen gesehen oder Nahrung zu sich nehmen, jedenfalls nicht daß ich davon gehört hätte.
    Ich begegnete diesem armen Geschöpf mehrmals auf der 30

    Straße, und ich wollte mit ihm sprechen, aber er ließ sich mit niemand auf ein Gespräch ein, mit mir nicht und auch mit sonst niemand, sondern fuhr unaufhörlich mit seinem schaurigen Schreien fort.
    Solche Dinge erschreckten die Leute bis zum äußersten, und das um so mehr, als sie dann zwei- oder dreimal auf dem Sterberegister, wie ich schon erwähnt habe, einen oder zwei Tote angezeigt sahen, die in St. Giles an der Pest gestorben waren.
    Zu diesen öffentlichen Vorkommnissen gesellten sich die Träume der alten Weiber oder, so muß ich sagen, die Auslegungen, die alte Weiber den Träumen anderer gaben; und das machte nun mehr als genug Menschen vollends kopflos.
    Manche hörten Stimmen, die sie warnten, sie sollten fortgehen, denn es werde eine solche Pest über London kommen, daß die Lebenden nicht mehr imstande sein würden, die Toten zu begraben. Andere sahen Erscheinungen in der Luft; und man muß mir gestatten, von beidem zu sagen, und ich hoffe, damit nicht die Nächstenliebe zu verletzen, daß die Stimmen, die sie hörten, niemals sprachen, und die Erscheinungen, die sie sahen, niemals da waren; sondern die Phantasie der Leute war einfach losgelassen und wie besessen. Und es war auch kein Wunder, daß sie, wenn sie sich fortwährend in die Wolken verguckten, Gestalten und Figuren, Zeichen und Erscheinungen sahen, die aus nichts als Luft und Dunst bestanden. Hier sagte uns einer, er
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