Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London
Autoren: Daniel Defoe
Vom Netzwerk:
habe ein flammendes Schwert in einer Hand gesehen, die aus einer Wolke kam, und die Spitze habe direkt über der Stadt gehangen; dort behauptete einer, er habe Leichenwagen und Särge in der Luft gesehen, in denen man Tote zu Grabe trug; und wieder ein anderer sprach von ganzen Haufen unbestattet liegender Leichen und mehr dergleichen, wie gerade ihre Phantasie den armen erschreckten Leuten den Stoff lieferte, um ihn sich auszumalen.

    31

    »Der Hypochonder träumt und sieht am Himmel
    Armeen, Flotten, wildes Schlachtgetümmel;
    dann kommt ein Nüchterner und schaut und lacht: was so ein Narr aus Wolken alles macht!«

    Ich könnte diesen Bericht mit den seltsamsten Erzählungen anfüllen, die solche Leute jeden Tag über das, was sie gesehen hätten, zum besten gaben; und jeder war so sicher, wirklich zu sehen, was er zu sehen behauptete, daß man nicht widerspre-chen konnte, ohne daß Freundschaften in die Brüche gingen oder man entweder roh und ungesittet gescholten wurde oder als verstockt und ohne Sinn für Höheres galt. Eines Tages – die Pest war noch nicht ausgebrochen (außer, wie beschrieben, in St. Giles) –, und es war, ich glaube, März, da sah ich eine Menschenansammlung auf der Straße, ich ging hinzu, um meine Neugier zu befriedigen, und fand sie, wie sie alle gen Himmel starrten, um zu erkennen, was, wie eine Frau erklärte, ganz klar zu sehen sei: ein Engel, in Weiß gekleidet, mit einem feurigen Schwert in seiner Hand, das er hin- und herschwang oder über dem Kopf kreisen ließ. Sie beschrieb jede Einzelheit der Gestalt bis ins kleinste, zeigte ihnen Bewegung und Form, und die armen Leute waren ganz bei der Sache und machten bereitwilligst mit. »Ja, ich sehe es ganz deutlich«, sagte einer,
    »da ist das Schwert, deutlicher kann man es nicht sehen«; ein anderer sah den Engel. Einer sah sogar seine Gesichtszüge und rief laut, was für ein herrliches Geschöpf er sei! Der eine sah dies, der andere das. Ich schaute so ernsthaft wie alle anderen, aber vielleicht nicht mit der gleichen Bereitschaft, mir etwas vormachen zu lassen; und ich sagte schließlich, daß ich nichts sehe als eine weiße Wolke, hell auf der einen Seite, weil das Sonnenlicht von hinten auf sie falle. Die Frau bemühte sich, es mir zu zeigen, aber sie konnte mich nicht dazu bringen zu gestehen, daß ich es sah, was auch eine Lüge gewesen wäre.
    Aber die Frau kam auf mich los, schaute mir ins Gesicht und 32

    meinte, ich lache, worin ihre Einbildung sie ebenfalls täuschte, denn ich lachte in Wirklichkeit nicht, sondern machte mir ernste Gedanken darüber, wie die armen Leute durch die Macht ihrer eigenen Einbildungskraft sich so in Schrecken versetzen ließen. Sie wandte sich jedoch von mir ab, nannte mich einen Lästerer und Spötter; sagte mir, dies sei eine Zeit für Gottes Zorn, und furchtbare Strafgerichte nahten heran, und Verächter so wie ich würden vom Wege abkommen und zugrunde gehen.
    Die Leute um sie herum schienen ebenso aufgebracht wie sie; und ich fand, es habe keinen Sinn, sie überzeugen zu wollen, daß ich sie nicht auslachte, und sie würden mich eher verprügeln als sich von mir über ihren Irrtum aufklären lassen.
    So ließ ich sie stehen; und diese Himmelserscheinung galt für so wirklich wie der Komet selbst.
    Noch etwas stieß mir wieder am hellichten Tage zu; und das war, als ich einen engen Durchgang passierte, der von Petty France, an einer Reihe von Armenhäusern vorbei, auf den Bishopsgate-Friedhof führt. Es gibt zwei Friedhöfe, die zur Pfarre und Kirche in Bishopsgate gehören; den einen über-schreitet man, wenn man von dem Platz, der Petty France heißt, in die Bishopsgate Straße gelangen will, wobei man dann gerade an der Kirchentür herauskommt; der andere ist neben der schmalen Durchgangsstraße, wo links die Armenhäuser stehen; und auf der rechten Seite ist eine niedrige Mauer mit einem Staketenzaun darauf, und noch weiter rechts verläuft die Stadtmauer.
    Auf dieser schmalen Durchgangsstraße steht ein Mann und schaut durch die Spalten des Staketenzauns auf den Friedhof, und so viele Menschen wie die Enge des Weges erlaubt, ohne daß andere am Vorbeigehen gehindert werden, sind stehenge-blieben, und er spricht mit großem Eifer zu ihnen und deutet einmal hierhin, einmal dorthin, und behauptet, er habe einen Geist gesehen, der auf dem Grabstein dort gewandelt sei. Er konnte die Gestalt, die Haltung und Bewegung so genau 33

    beschreiben, daß es ihm unerfindlich war, wie irgend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher