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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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schmerzenden Frostbeulen oder eitrigen Brandblasen bedeckt gewesen waren. Hände, die noch schneller gealtert waren als der restliche Körper und die auch zuerst sterben würden. Wie viel Zeit blieb ihnen noch?
    Die Seifenlauge hatte sich tief in die aufgeschwemmte Haut gefressen und schmale, manchmal eitrige Risse mit grauwulstigen Wundrändern hinterlassen. Besonders schlimm war es zwischen Fingern. Dort trocknete die Haut nie ganz, und jedes Mal, wenn Martha die Hände erneut in die beißende Lauge steckte, durchfuhr sie ein scharfer Schmerz, der ihr fast den Atem nahm. Fingernägel hatte sie schon lange nicht mehr, nur noch Stellen mit einer unnatürlich verdickten Hornschicht von der Farbe uralter Steine. Obwohl sie erst 36 Jahre alt war, hatte die Gicht ihre Gelenke bereits befallen, mit schmerzenden Knoten bedeckt und die Finger zu Krallen gekrümmt, die sich von Tag zu Tag schlechter bewegen ließen. Wie lange würde es noch dauern, bis sie den schweren Holzlöffel nicht mehr greifen konnte?
    Und wie lange würde es noch dauern, bis Luisas Hände ebenso aussahen, sie den Rücken nicht mehr strecken konnte und das Gliederreißen auch nachts nicht aufhörte? In Gedanken sah sie ihre Tochter vor sich, die schon seit ihrem zwölften Lebensjahr als Wäscherin arbeitete.
    Luisas Zukunft würde aussehen wie Marthas Vergangenheit: schwere Arbeit, wenig Freude, alt vor der Zeit mit kaputten Knochen und ewig schmerzendem Rücken.
    Mit einem bisschen Glück und vielen Gebeten bekam Luisa vielleicht irgendwann einen Knecht zum Manne. Einen Feldsiechendiener, der sie zu einer halbwegs ehrbaren Frau machte und der – wie die meisten im Siechenhaus – früh sterben und sie allein mit den Kindern lassen würde, die Brot und Kleider brauchten und die, sobald sie alt genug waren, mit dafür sorgen mussten, dass das Holz im Herd brannte, um am Morgen die dünne Grütze darauf zu kochen.
    Einen Mann finden und heiraten, das war das Wichtigste im Leben. Was war eine Frau ohne Mann wert? Nichts, gar nichts. Eine Frau ohne familiäre Bindung und ohne männlichen Schutz war eine freie Frau. Eine Hure selbst dann, wenn sie das Bett noch nie mit einem Mann geteilt hatte. Wenn sie doch wenigstens Witwe wäre! Eine Witwe hatte einen guten Ruf und bekam vielleicht noch einmal einen Mann, selbst wenn die Jugend lange hinter ihr lag. Einen, der alt, krank und gar bösartig war, der sie schlug und dessen Kinder sie großziehen musste. Auch das war kein Vergnügen, aber alles war besser, als eine freie Frau zu sein, eine Wäscherin lebenslang.
    So wie es ihr geschehen war.
    Martha war elf Jahre alt gewesen, als nach dem frühen Tod ihres Vaters während einer Pockenepidemie auch noch die Mutter starb, sodass sie waschen gehen musste, weil niemand da war, der für sie und die jüngeren Geschwister sorgte. Mit 20 war sie von einem Handwerksgesellen schwanger geworden. Sie hatten sogar heiraten wollen, doch dann starb der Meister, der Handwerksgeselle nahm die Meisterin zur Frau, um die Werkstatt übernehmen zu können, und machte Martha zu einer Dirne mit einem unehelichen Kind. Und Luisa wurde zu einem Bastard, dem lebenslang die Bürgerrechte oder gar eine Verbindung zum ehrlichen Handwerk verwehrt blieben.
    Der liebe Gott wusste, dass Martha alles getan hatte, um ihrem Kind dieses Schicksal zu ersparen. Sie war sogar bei einer Kräuterkundigen gewesen, bei einer Zauberschen, die ihr Tränke gegeben hatte, von denen Martha die Besinnung verlor, und die mit zangenähnlichen Geräten in ihren Schoß gedrungen war, um das Kind aus Martha herauszuholen und zurück in Gottes Reich zu schicken. Noch Tage danach hatte sie hohes Fieber gehabt, einzelne Blutstropfen waren ihr immer wieder die Beine hinabgelaufen, doch das Kind war stärker, ließ sich nicht wegschicken. Im Gegenteil, es trieb ihr den Leib auf, machte die Brüste groß und schwer und war bald sichtbar für jeden. Martha hatte nacheinander die meisten ihrer Waschstellen verloren.
    Eine immer schwerfälliger werdende Wäscherin mit dickem Bauch und ohne Mann zu beschäftigen, das machte fast niemand. Sie hatte manches Mal gehofft, im Kindbett zu sterben oder wenigstens ein totes Kind zur Welt zu bringen, um das sie trauern konnte, ohne es versorgen zu müssen. Doch Luisa war gesund, und irgendwann hatte Martha sich von der Geburt erholt und war wieder waschen gegangen. Die Kleine nahm sie mit, ob es stürmte oder schneite. Sobald sie alt genug dafür war, ließ sie sie allein in der
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