Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
darin den Brief.
    Der Brief aus dem Kloster Engelthal. Martha blieb stehen und holte ihn vorsichtig heraus. Was wohl darin steht?, überlegte sie und ging langsam weiter. Wenn darin steht, dass Sibylla heimkommen, heiraten und Meisterin werden wird, dann könnte ich die Stelle vielleicht behalten. Aber dann hätte den Meister bestimmt nicht der Schlag getroffen, es sei denn, vor Freude.
    Sie war inzwischen auf dem Römer angekommen. Die rote Fahne hing vom Rathaus herab und verkündete, dass Marktrecht geboten war. Der Handel war in vollem Gange.
    Ein Karren mit Brennholz, gezogen von einem klapprigen Esel, rumpelte über das holprige Kopfsteinpflaster in Richtung Holzmarkt, und Martha wich ihm aus.
    Beinahe wäre sie dabei mit einem Bettelmönch zusammengestoßen, dessen schäbige und staubige Kutte von seinem weiten Weg erzählte.
    «Habt Ihr ein Stück Brot für einen armen Gottesdiener auf Wanderschaft, gute Frau?», fragte der Mönch.
    Martha schüttelte den Kopf, doch dann fiel ihr der Brief wieder ein. «Könnt Ihr lesen?»
    «Ja, lesen und schreiben auch», erwiderte der Mönch.
    Martha reichte ihm den Brief.
    «Lest mir vor, was darin geschrieben steht», bat sie.
    Der Mönch sah sie misstrauisch an. Der Brief konnte nicht an diese einfache Frau gerichtet sein. Zu kostbar war das Papier, zu edel das Siegel. Und überhaupt: Wer sollte einer Wäscherin schreiben? Dann konnte man den Brief ja gleich an den Hofhund schicken! Doch was kümmerte ihn das? Er hatte Hunger und es war ihm gleichgültig, wer der Adressat dieses Briefes war. «Einen viertel Heller, gute Frau, dann lese ich ihn Euch vor.»
    Martha gab ihm den viertel Heller, verzichtete damit auf ein bisschen Schmalz, das sie davon kaufen wollte, und sah mit Verwunderung, wie schnell das Geldstück in den Tiefen der ärmlichen Mönchskutte verschwanden. Der Mönch räusperte sich, dann begann er zu lesen: «Wir müssen Euch leider anzeigen, dass Eure Tochter Sibylla am gestrigen Abend, versehen mit den Sterbesakramenten, heim ins Reich Gottes gegangen ist. Ihr Leiden war kurz und die Aufnahme in den Himmel ist ihr gewiss …»
    Sibylla? Tot?, dachte Martha und schüttelte fassungslos den Kopf.
    Kein Wunder, dass dem Meister der Schreck so ins Herz gefahren war, dass es gleich stehen geblieben und ihm der Atem für immer versiegt war. Sie selbst merkte ja, wie ihr Herz bei dieser Nachricht für einen Moment aussetzte. Sibylla würde nie mehr nach Hause kommen, und Martha war ihre Stellung los. Sie seufzte und wünschte sich für einen Augenblick an die Stelle der jungen Sibylla.
    Sie hörte kaum zu, als der Mönch weiterlas, merkte sich nur, dass Sibylla auf dem Klosterfriedhof beigesetzt und ihre persönlichen Sachen unter den Armen verteilt werden sollten. Genauso, wie es damals, bei Sibyllas Ankunft im Kloster mit Meister Wöhler vereinbart worden war.
    Martha dankte dem Mönch, steckte den Brief zurück in die Tasche, ging langsam weiter und erinnerte sich dabei an Sibylla, die sie vor mehr als vier Jahren zum letzten Mal gesehen hatte.
    Sibylla, die kleine Sibylla mit den langen braunen Haaren, die in der Sonne ein bisschen rötlich leuchteten, und den graublauen Augen, die wie gefrorene Pfützen im Winter aussahen. Sie war schon eine Freude gewesen, die hübsche Kleine, und Martha hatte sie gern gehabt. Vielleicht, weil Sibylla ihrer eigenen Tochter Luisa so ähnlich sah. Das gleiche Haar, die gleichen Augen, nur dass die von Luisa vielleicht ein bisschen mehr ins Grüne gingen und ihr in manchen Augenblicken etwas Katzenhaftes verliehen. Martha fühlte große Traurigkeit und Verzweiflung in sich und wusste nicht, wem sie galten: Sibylla, Meister Wöhler und dem Verlust ihrer Stellung oder Luisa, der eigenen Tochter, die lebte, aber von der niemand wusste, wie lange noch.
    Einmal hatten sich die beiden Mädchen getroffen. An einem Sonntag beim Kirchgang war das gewesen. Sibylla hatte die Wäscherin freundlich begrüßt und auch Luisa die Hand gereicht.
    Und Luisa hatte ihre Hand am Kleid abgewischt und verschämt die spröde Haut angesehen, ehe sie sie Sibylla zum Gruße hinhielt.
    Martha war dieser Anblick schmerzhaft in Erinnerung geblieben. Die rote, wunde Hand Luisas, die schon damals erste Spuren von Wasser und scharfer Seifenlauge trug, und die weiche, weiße Hand Sibyllas, die makellos war. Und der bewundernde Blick Luisas angesichts der Schönheit Sibyllas. Ihrer eigenen war sie sich nicht bewusst. Doch selbst wenn Luisa geahnt hätte, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher