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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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Platz unter den Frankfurter Handwerkern neu zu erkämpfen. Doch sie war so müde. Einen Misserfolg konnte sie sich nicht leisten.
    Die Angst hockte ihr in den Knochen, ließ sie frieren, obwohl der Winter noch eine ganze Weile auf sich warten lassen würde. Hatte sie zu hoch gespielt?
    War sie nicht schon dabei zu verlieren? Noch einmal dachte sie daran, wie wenig ihr Geld und Erfolg noch bedeuteten. Doch sie konnte nicht aufhören, sich nicht zurückziehen, ohne noch ein letztes Mal zu zeigen, was sie konnte. Diesen letzten Sieg brauchte sie. Seit sie Isaak vor beinahe neun Jahren aufgegeben hatte. Ja, sie wusste es. Aber glauben konnte sie es nicht. Ihr ganzes Leben wäre umsonst gewesen, jeder Sieg im Grunde eine verlorene Schlacht. Ein einziges Mal noch musste sie sich in der Bewunderung der anderen, in deren Lob sonnen. Ein letzter Sieg, der ihr zeigte, dass doch nicht alles umsonst gewesen war.
    Wieder eilte sie durch die Räume. Die Turmuhr schlug die siebte Stunde. Sibylla ging in ihre Kammer und zog sich um. Sie wählte ein Kleid aus grüner Seide, das von oben bis unten mit winzigen Perlen bestickt war. Dann holte sie ihr silbernes Schmuckkästchen hervor und überlegte, was für einen Schmuck sie dazu tragen sollte. Sie nahm eine Perlenkette heraus, hielt sie sich an und legte sie zurück. Dann probierte sie einen Rubin, doch auch dieser gefiel ihr nicht. Sie durchwühlte ihre ganze Schatulle und stieß schließlich auf die Kette mit der römischen Glasscherbe.
    Sie sah sich mit Isaak in Florenz, hörte ihn noch einmal sagen: «Eine Glasscherbe, die von Jahr zu Jahr schöner wird, kann nur von einer Frau getragen werden, die selbst von Tag zu Tag an Schönheit gewinnt. Möge unsere Liebe genauso lange dauern wie das römische Glas.»
    Kurz schloss sie die Augen, umfasste den Anhänger und presste ihn gegen ihre Brust. Dann legte sie ihn sich um den Hals.
    Als sie ihr Haar bürstete, begann sie, leise vor sich hin zu summen. Das Lied der Wäscherinnen vom verlorenen Liebsten, das sie am Main gesungen hatten.
    Als sie es bemerkte, verstummte sie wie ertappt und eilte hinunter in die Verkaufsräume, um die Kandelaber zu entzünden. Wieder schlug die Turmuhr und verkündete die achte Abendstunde.
    Doch kein einziger Gast war bisher ihrer Einladung gefolgt.
    Die Tafeln waren gedeckt, die Musiker waren da. In den Hinterräumen warteten die Angestellten fertig angezogen darauf, dass die Vorführung begann. Die Beteiligten am Passionsspiel saßen in der Küche, bereit für ihren Einsatz.
    Doch niemand kam. Die große Tür blieb geschlossen, und auf dem Römer waren keine Schritte zu hören.
    «Was soll nur aus den ganzen schönen Braten werden?», hörte Sibylla Barbara jammern. «Wer soll die ganzen Kuchen essen? Wer den Wein und das Dünnbier trinken?»
    «Halt den Mund, Weib», schalt Heinrich sie und sagte so laut, dass Sibylla es gut hören konnte: «Die Frankfurter haben es nicht mit der Pünktlichkeit. Oder hat jemals einer erlebt, dass eine Ratssitzung pünktlich begonnen hätte?»
    Unruhig lief Sibylla auf und ab. Die Musiker begannen leise zu murren. «Für wen sollen wir aufspielen?»
    Noch immer war es draußen vor dem Haus so still wie auf einem Friedhof. Keine Sänfte wurde herbeigetragen, keine Wagenräder rumpelten holpernd über das Pflaster, keine Schritte störten die abendliche Stille.
    Sibylla rang die Hände. Wieder ertönte die Turmuhr, zeigte an, dass eine weitere Viertelstunde vergangen war.
    Ich habe verloren, dachte Sibylla und spürte, wie die Müdigkeit sich bleischwer auf sie senkte. Zu gern wäre sie hinaufgelaufen in ihre Schlafkammer, hätte sich unter dem dicken Daunenkissen versteckt und die Welt sich selbst überlassen. Doch sie war zu müde, auch nur einen Schritt zu tun.
    Doch plötzlich hörte sie doch Schritte. Feste energische Männerschritte, dazu die trippelnden einer Frau. Die Tür öffnete sich – und Isaak Kopper betrat das Schierenhaus, Arm in Arm mit seiner Frau Isabell.
    Schlagartig fiel alle Müdigkeit von Sibylla ab. Ihr Blick fing Koppers Blick ein. Sie sah, dass er die Kette an ihrem Hals bemerkte. Er nickte ihr nur kurz zu, dann geleitete er seine Frau zu den Stühlen in der ersten Reihe vor der aufgebauten Bühne.
    Und es war, als wäre Koppers Erscheinen ein geheimes Zeichen für alle anderen Frankfurter gewesen. In Scharen strömten sie nun herein und stürzten sich auf die Speisen und Getränke. An den Fenstern drückten sich die Nichteingeladenen die
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