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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin
Autoren: Conny Walden
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eine einzige schwärende Wunde. Johannes Philagathos hatte keine Augen mehr, nur blutige Höhlen. Ohren, Nase und Zunge waren ihm von den papsttreuen Eiferern im Namen Jesu Christi abgeschnitten worden. Blut rann aus seinen Wunden.
    Otto wandte den Blick ab. Der junge, eigentlich empfindsame Mann war kreideweiß. »Was denkt Ihr darüber, Arnulf?«, fragte er.
    Arnulf kannte den Kaiser gut genug, um ermessen zu können, dass dies nicht die Frage eines Kaisers an einen seiner Ritter war, sondern die eines Jüngeren an einen Erfahreneren.
    »Es ist unwürdig, was da geschieht«, sagte Arnulf.
    »Papst Gregor V. hat darauf bestanden, seinen Widersacher in einer Schandprozession vorführen zu lassen.«
    »Dann liegt die Schande auf seiner Seite.«
    »Und vielleicht auch auf meiner«, gestand Otto. »Allerdings hatte ich keine Wahl. Ich brauche Gregor – jetzt dringender denn je.«
    »Ich verstehe«, murmelte Arnulf fast tonlos.
    »Man wird Johannes Philagathos in ein Kloster abschieben, wenn das hier vorbei ist.«
    »Falls er dann noch lebt«, fügte Arnulf hinzu.
    »Was in seinem jetzigen Zustand vielleicht das ungnädigere Schicksal ist«, glaubte Otto. Er warf Arnulf einen nachdenklichen Blick zu und fuhr dann fort: »Ich habe übrigens beschlossen, Euer Lehen erblich zu machen – auch wenn es nach dem Tod Eurer Verlobten Woda nun wohl doch keine verwandtschaftlichen Bande zwischen uns geben wird. Ihr habt mir immer treu gedient, ebenso wie es Eure Vorväter gegenüber meinen Vorvätern taten. Ich habe viel von Euch gefordert, und es ist an der Zeit, etwas zurückzugeben.«
    »Ihr seid zu gütig, mein Kaiser.«
    Aber in diesem Augenblick konnte er kaum Freude über die Großzügigkeit seines Herrschers empfinden.
    »Ich hätte noch einen anderen Wunsch«, erklärte Arnulf schließlich, als die grausige Prozession hinter der nächsten Straßenecke verschwunden war. Die Schreie des Geschundenen wurden von den Schreien des Publikums übertönt.
    »Was ist Euer Begehr, Arnulf?«
    »Wenn wir auf dem Rückweg durch die Lombardei ziehen, dann würde ich gerne Venedig einen Besuch abstatten …«
    »Es sei Euch gewährt!«, sagte Otto. »Von dort an seid Ihr von der Heeresfolge befreit.«
    Erneut entstand ein Raunen in der Menge. Aber diesmal war nicht der geschundene Eselspapst die Ursache dieser Aufwallung. Eine Gasse bildete sich zwischen den Menschen und setzte sich fort. Hier und da erklangen Gesänge.
    »Was ist dort los?«, murmelte Arnulf.
    »Oh mein Gott!«, flüsterte Otto.
    Jetzt endlich zeigte sich, für wen die Menschen so bereitwillig zur Seite gegangen waren und wen sie mit Gesängen zu ermutigen versuchten.
    Ein uralter Mann näherte sich, gestützt auf einen Stock, der Mauer des Palazzo. Sein Bart war schlohweiß, und er hatte kaum noch ein Haar auf dem Kopf. Um die Schultern trug er einen vielfach geflickten Umhang.
    »Wer ist das?«, fragte Arnulf.
    »Das kann nur Nilus sein – ein Einsiedler, der wie ein Heiliger verehrt wird«, murmelte Otto erblassend.
    Der alte Mann kniete nieder.
    Dann erhob er seine überraschend kräftige Stimme.
    »Ich bin Nilus von Rossano, den man auch Nilus den Jüngeren nennt! Über neunzig Jahre hat mich der Herr werden lassen, aber nie musste ich vorher so etwas mit ansehen! Warum gewährt Ihr keine Gnade, Kaiser?«
    Otto trat näher an die Mauer. »Fragt Gregor!«
    »Der Herr aber sagt: Deine Rede sei ja, ja oder nein, nein! Ich spreche Euch an und bitte Euch um Gnade! Andere habe ich schon an anderer Stelle gefragt!«
    »Was könnte ich gewähren, was Gregor nicht gewährte?«
    »Schande über Euch!«, rief der alte Mann. »Das Gottesgericht ist nun unabwendbar, Kaiser, denn Ihr sollt nicht richten, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet! Dieser Augenblick wird nicht vergessen werden! Nicht vor den Menschen – und nicht vor dem Herrn.«
    Ein ohrenbetäubender Tumult entstand daraufhin.
    Nilus erhob sich mühsam und ging davon.
    Schon wenige Tage später zog das Ritterheer von Rom aus in Richtung Norden. Der Kaiser wirkte ungewöhnlich schweigsam. Ihm, der sich immer gerne mit Heiligen umgeben hatte und insgeheim vielleicht erwartete, dass man ihn selbst irgendwann zu diesem Kreis rechnen werde, hatte ein Heiliger mit dem Gericht Gottes gedroht.
    Lange ritt Arnulf in seiner Nähe, ohne dass Otto ein einziges Wort sagte. Aber dann brachte er doch etwas heraus. »Auf dem Schlachtfeld haben wir gesiegt, Arnulf, doch in den Straßen Roms ging dieser Sieg
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