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Die Orgelpfeifen von Flandern

Die Orgelpfeifen von Flandern

Titel: Die Orgelpfeifen von Flandern
Autoren: Alban Nikolai Herbst
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der kleinen Brüste stachelten durch die Blusenseide, und ein Abdruck der festen gewölbten Scham verlor sich auf seinem Oberschenkel nicht mehr. Wenn er zumal in Jézabel Augen, immer wieder in diese energischen Augen sah, erfaßte ihn ein Schwindelgefühl, ein Amalgam aus Panik und Wollust, das für Distanz keine Luft ließ.
    »Bereust es?« fragte sie.
    » Was sollte ich bereuen?«
    »Daß du mich damals genommen hast.«
    » Du hast mich genommen...«
    »Sollte ich nicht? Du wolltest mich, das sah ich, aber hättst dich allein nicht getraut. Und auch ich wollte dich, wollte nicht warten, wollte das Andere an dir, dein blondes Haar, deine fahle Haut, wollte die Schwermut, die dein Gesicht wärmte, als du hochstiegst zu mir.«
    Ihre Entschiedenheit war ihm fremd. Ihr gläserner Rigorismus, der an jedem einmal gefaßten Entschluß unabänderlich festhielt, quälte ihn. Sie sei, hatte sie einmal gesagt, mit dem falschen Geschlecht zur Welt gekommen. Das könne sie sich nicht verzeihen. Sie sei ein Bußkind. Ja, »Bußkind«, das war ihr Wort. Und sie hatte erläutert, ihr Vater habe sich an den Geboten vergangen, irgendwann früher einmal. Doch da er ein großer Gelehrter und voll der Reue gewesen sei, habe er eines Morgens ein Gesicht gehabt. Der Unnennbare selbst habe ihm aufgetragen, der Tochter, mit der die Mutter damals schwangerging, zur Buße den Namen Jézabel zu geben. Wiewohl er sich vor Scham und Entsetzen die Kleider zerriß, habe er gehorcht in seiner großen Frömmigkeit.
    Ansgar öffnete die Augen. »Hast du deine Eltern wiedergesehen?«
    »Vater ist ein Prophet geworden.« Sie kicherte. »Er hat mich für tot erklären lassen.«
    »Meine Güte!«
    »Er hat ja recht. Der Gemeinde war Jézabel schon gestorben, als sie zur Welt kam und Gott sie zeichnete durch den Vater. Und dann ...«, abermals kicherte sie, »... ich hab’ mit einem Goj geschlafen -, einem Deutschen zumal.«
    Ansgar schluckte, rührte in der Tasse, derweil Jézabel ein wenig nachzudenken schien. Sie schlug ihre Lider über die Augäpfel, die hinter den Häutchen klopften; rieb sie sich dann, als sie die langen Wimpern zurückbog. Ein paar Härchen hatten sich verfilzt. »Ich bin in großer Freiheit angekommen«, sagte sie.
    »Und deine Mutter?«
    Jézabel zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich weinet sie einen jeglichen Tag.«
    »Jézabel...«
    »Nenn’ mich nicht so!« fuhr sie auf. »Ich sag’ dir das zum letzten Mal! - Ach verzeih, Abèl, verzeih ... Ich bin ungerecht, bin ungerecht, ich weiß. Es tut mir leid. Das kommt von unserer Trennung. Ich weiß schon. -He, Abèl! Nenn’ mich wie früher!«
    »Héloise?«
    »Das darf man nur einmal sagen.«
    »Advise?«
    Sie nickte, und über ihr Gesicht flutete Wärme. »Welch ein Glück, daß du zurückgekommen bist.« Sie beugte sich vor, flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Hier?« fragte er.
    »Einerlei wo.«
    »Laß dich anschaun. Ich weiß ja gar nicht, ob du mir überhaupt noch gefällst.«
    Momentlang senkte sich die vertikale Falte über ihre Nasenwurzel. Dann lachte sie, stand auf, drehte sich einmal um die eigene Achse. »Nun, Monsieur? Appetitlich?«
    »Gewiß.«
    »500«, sagte sie.
    Er sah sie an.

    W eich, gewissermaßen matt sprühte der Regen. Auf Asphalt und Bürgersteinquadern, millimeterdünn, widerschimmerten farbige Lichterketten, irisierten ins Dunkle. Advise und Abèl spazierten Hand in Hand zur Seine, nahmen gebackene Maronen, deren weiße, aschige Schalen die Fingerspitzen kohlig verschmutzten, und steckten sich das gesalzene Fruchtfleisch gegenseitig in den Mund. Leuchtende Caféscheiben passierten sie, Jugendliche dahinter, die klammen Rucksäcke an die Stuhlflechten gelehnt, Stadtpläne studierend. Finger fuhren suchend auf farbigen Linien herum. Altere Herren lasen die Abendzeitung oder schmauchten, nach Metropolenart sinnierend, ihre Zigarren. Kleine, spitze Frauen stöckelten unentwegt irgendwo hinein und hinaus. Vor Kinos standen Schlangen bis auf den Boulevard.
    Jézabel blühte zunehmend auf, glühend auf den Wangen, sprang bald, hüpfte dann, lief ausgelassen plötzlich Ansgar voraus und war auf eine ihm gänzlich unbekannte Weise jugendlich. Denn vordem hatte ihrem Charakter stets dieser frühreife, bittere Geist angehaftet. Zwar war sie bei ihrer ersten Begegnung knapp sechzehn gewesen, ihm jedoch vollständig alterslos vorgekommen, wie ein Geschöpf, das unverändert durch die Zeiten weht, fünfzehn oder vierhundert Jahre alt, einerlei -, als hätte sich
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