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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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ihn schichtweise ab, zwei, drei Meter, stapelte die Soden in Ringeln auf, ließ sie von Wind und Sonne trocknen und schaffte den Torf zu den Häusern, um ihn zu verheizen. Übrig blieben die Erschließungswege, die meterhoch das abgetorfte Moor überragten, an ihren Rändern ließ man die Birken stehen, denn auf ihren verflochtenen Wurzeln konnten die Karren fahren, ohne zu versinken. Heutzutage durfte man den Torf nicht mehr verheizen, er landete nicht mehr in den Herden seiner Eigner, sondern in den sogenannten Kompostmischungen des Gartengroßhandels. Das Heizmaterial dagegen schaffte man von weit her aus der arabischen Wüste oder der sibirischen Tundra.
    Auf die trockensten Stellen baute man die Häuser, sie schwammen wie Pontons auf dem Moor. Zweiständerhäuser nannten die Denkmalschützer die Gebäude, weil ihre reetgedeckten Dächer auf zwei Balkenreihen ruhten. Sie beherbergten Mensch und Tier unter einem Dach, denn damals wusste man noch, dass beide nicht ohne einander sein können.
    Die Häuser passten sich geduldig dem Moorboden an, ihnen tat es nichts, wenn der Torfgrund mit steigendem oder fallendem Grundwasser aufquoll und wieder schrumpfte, im Winter zu Beulen auffror und in trockenen Sommern absackte. Die Bauten wurden krumm wie Bananen, aber sie hielten, und man behalf sich mit nachträglichen Stufen von Zimmer zu Zimmer.
    Als die Kolonisten das Moor Richtung Altenmoor trockengelegt und erschlossen hatten, wurden ihnen die Wege zu den Torf- und Weidegründen zu weit, sie nahmen die in Elbschlick gemauerten Ziegel aus den Gefachen, zogen die Holznägel aus dem Fachwerk und die Balken aus den Zapfen, trugen alles fort, Sparren und Hahnenbalken, Ständer, Riegel, Streben und Kopfbänder, zuletzt die Sohlbalken, alles durchnummeriert, gruben die Fundamente aus und fügten alles am Rande des Hochmoores wieder zusammen. Eine zweite Siedlungskette am südlichen Rand der Gemarkung entstand.
    Und dort befand sich der schlichtmannsche Hof, auf der Moorseite der Straße, am Ende eines fünfhundert Meter langen Birkenwegs, auf den die Schlüters abbogen. Durchs Geäst der Bäume schimmerte bald das kalkgetünchte Fachwerk des alten Hauses, und dann sahen sie den Boxenlaufstall aus den Siebzigerjahren, dahinter die riesige Scheune mit diversen Anbauten und Verlängerungen für Vorräte und Maschinen, und rechts den Kälberstall, der neu sein musste, denn der Aushub aus der Baugrube lag noch gehäuft daneben. Ein Hof wie die meisten hier, uralt und nagelneu, Stillstand war nicht erlaubt, denn die Devise lautete: Wachsen oder Weichen.
    Henry kam ihnen entgegen.
    »Gut, dass ihr kommt«, sagte er.
    Henry duzte jeden, aber er konnte sich das leisten mit seinem entwaffnenden Lächeln, dieser siebenundzwanzigjährige Hüne mit rasiertem Kopf, leuchtenden Augen hinter kleiner Brille und goldenem Ring im linken Ohr. Er war studierter Landwirt, mit Schwerpunkt Tierproduktion, wie sein Vater stolz erzählt hatte, nach einem Jahr in Amerika arbeitete Henry seit dem letzten Sommer auf dem elterlichen Hof, entschlossen, die neuesten Methoden einzuführen und den Rest seines Lebens der elterlichen Scholle zu widmen. Ein kleines großes Leben, an das sich heutzutage nur noch der binden konnte, der frei war und die Welt gesehen hatte. Nur die richtige Frau fehlte ihm noch.
    »Vadder is inne Deel. {1} «
    Es hätte seiner Worte nicht bedurft, denn in diesem Augenblick war das rhythmische trockene Knurren eines Motors zu hören, der angerissen wurde, dann ansprang und unter Vollgas laut grölte.
    »Siid güstern Obend soogt he Holt, sünsten dreiht he dörch, seggt he. {2} «
    Auf dem schlichtmannschen Hof wurde Platt gesprochen, und Henry hatte besonderen Spaß daran, seit er aus Minnesota zurück war, wo er Englisch gelernt hatte und altertümliches schleswigholsteiner Platt aus den Zeiten Klaus Groths.
    Schlüters näherten sich dem dunklen Loch der Grootdöör {3} , aus dem der Lärm drang. Schlüter blieb am Dössel {4} stehen, damit seine Augen sich gewöhnten.
    Der Motor dröhnte und brach plötzlich ab, es roch nach Abgasen. Der Mann unter der Neonlampe wuchtete einen fetten Meterstamm auf einen Sägebock, griff sich die Motorsäge, sägte das Holz durch, eine Fontäne von Spänen regnete ihm in den Schoß, der Mann ließ die Säge auf dem Boden weiterknötern und warf die beiden Stücke auf einen mannshohen Stapel zu den anderen. Er drehte Schlüters den halben Rücken zu und bemerkte sie nicht. Der Mann machte keine
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