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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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»Bleßhühner«, sagte Bibi. Sie kannte jeden Vogel, ohne daß er piep zu machen brauchte.

    »Unbewußter Weisheit froh —
    Und der Vogelsprache kund wie Salomo...«

    Das war von Friedrich Rückert. Bibi dachte aber, es sei von mir, und ich würde nun weiter dichten. Die höfliche Zurückhaltung verflog. Zwei Augen blitzten mich an, erfüllt vom Verrat — vom Verrat an der Weibsmission als Mutter und Hausfrau, an Tugend und Ehre, am Bund Deutscher Mädchen und an Cotta.
    Ein Gedicht? Ein Funke Hoffnung auf Unsterblichkeit! Auf ewige Jugend über die kurze Blütezeit hinaus, die dem armen Weibe gegeben ist...
    Ich holte das Notizbuch aus der Tasche. Bibi kam geschmeidig näher, um den Entstehungsprozeß zu verfolgen. An meiner Schulter knisterte inspiratorisch ihr Zopf.
    Ich schrieb:
    Für Bibi, gedichtet auf dem Schlachtfeld von Angermünde, im Sommer und so weiter. Doppelpunkt.
    »Wieso Schlachtfeld?«
    Ich hatte auf einem Schokoladenpapier gelesen, daß Friedrich der Erste hier die Pommern aufs Haupt geschlagen hatte.
    »Ach so«, sagte Bibi. »Ja. Und worum ging es da eigentlich?«
    »Um Angermünde.«
    »Um das olle Rumpelpflaster?« rief Bibi. Das Rumpelpflaster lag uns nämlich noch in den Knochen.
    »Der Kaiser Friedrich hatte bessere Fahrräder als wir.«
    Bibi interessierte sich nicht für Geschichte, weil ihr Geschichtslehrer Kopfschuppen hatte. Nun das Gedicht. Wieder knisterte der Zopf.
    Ich schrieb:

    Siehst du die Kirche dort von Angermünde?
    L’eglise d’Angermund, wie es französisch heißt.
    Danger = Gefahr, und Mund? Du weißt:
    Ich will dir gern ein Verschen weben.
    Bibi, bibibist du mir gut?
    Sei auf der Hut!
    Es könnte Cottastrophen geben.

    Es gibt den Witz von dem Mann mit den elastischen Hosenträgern. Der Mann bleibt am Heimatbahnhof an einem Haken hängen, weiß das aber nicht und steigt in den Zug. An der Endstation macht der Hosenträger schwupp, und der Mann steht wieder auf dem Heimatbahnhof. Wenn mir das jetzt passiert wäre — allein der Moment, in dem Bibi das Gedicht las, hätte für alles entschädigt.
    Sie schaute auf. »Hier steht du!« Nicht eine Spur verlegen. Nur so. Hier ist ein Gong. Soll ich draufschlagen?
    »Dichterische Freiheit, Bibi.«
    Sie kniffte den Zettel zusammen und klemmte ihn blitzschnell unter die Armbanduhr. Etwas auf der Straße erregte jetzt ihre Aufmerksamkeit.
    Dort lief der Hund, den wir doch schon vor Stunden abgeschüttelt hatten. Er kam in seiner Spezialgangart, die Nase wie ein Staubsauger am Boden. Bei den Rädern setzte er sich hin und nieste.
    »Vielleicht bringt er Nachricht von Cotta«, meinte Bibi.
    Der? Niemals, das sah man an seiner Gangart. Er lief im Hetztrab seiner Urgroßväter. Sein Buckel war von Steinwürfen krumm. So viel Haushund war er aber doch noch, daß er Menschenwege lief, wohl in der Hoffnung, einer werde sich seiner erbarmen.
    Auf den Hund folgte Cotta aber immer noch nicht. Statt dessen kam der Junglehrer, den wir schon fast vergessen hatten. Die Beine in den überkurzen Hosen traten ziemlich lahm in die Pedale.
    Er erkannte unsere Räder und hielt an. Wir nahmen volle Deckung.
    »Jetzt rächt er sich«, meinte Bibi, die Nase über dem Bootsrand. »Er läßt uns die Luft ‘raus.«
    Doch keiner von uns hatte mit dem Hund gerechnet. Kaum legte der Bursche seine germanische Hand an mein indisches Fahrrad, als der Hund auf ihn lossprang.
    Bibi und ich wuchsen wie Teleskope aus unserem Versteck.
    Der Junglehrer floh. Er floh mitsamt seinem Runenwimpel, seinem Fahrtenmesser und seinem militärischen Haarschnitt. Und der Hund machte seine Sache so gründlich, daß er mit ihm hinter der Höhe verschwand.
    Es war ein Fall von: Rasseloser Hund jagt nordischen Lehrer.
    Bibi meinte, man müsse es seiner Klasse mitteilen, und hoffentlich seien es Mädchen. Mädchen könnten besser piesacken.
    Endlich kam aber das Auto der Knochengroßhandlung mit Cotta. Der Jüngling lud das Rad ab und war sehr verlegen. Nach eisiger Verabschiedung von seiten Cottas fuhr er rasch weiter.
    »Anbändeln wollte er«, sagte Cotta düster. »Er fragte, ob ich nicht mal ein bißchen nett sein wollte.«
    »Ob du was... ?« rief Bibi.
    »Nett«, gurrte Cotta. Dieses Gurren schien die ganze Frivolität der männlichen Natur entlarven zu wollen.
    Bibi sagte im selben Ton, auch so zwischen Kehle und Nase: »Aha...«
    Jetzt sprachen sie nur noch zueinander. Ich war Luft. Sie unterhielten sich innerhalb der Gemeinschaft des jagdbaren Wildes. Von Reh zu
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