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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
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an. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Aber was geschehen war, war nun einmal geschehen, es gab kein Zurück. Ich hoffte, dass Gott mir meinen Stolz und meine Begierde in Bezug auf Madeleine de Peyrolles vergeben würde.
     
    *
     
    Eine trübe Morgendämmerung, schneidende Kälte, die in den Knochen schmerzte, die Gerüche der zum Leben erwachenden Stadt – Holzfeuer, entleerte Nachttöpfe, die Ausdünstungen der Pferde in den Ställen. Nicht mehr lange, dann würden die Tore geöffnet und das geschäftige Treiben von neuem beginnen.
    Ich hatte dafür Sorge zu tragen, dass Madeleine de Peyrolles den Wünschen der Kirche gemäß verbrannt wurde. Ihr Körper war zusammen mit einigen Reisigbündeln für das Feuer auf einen Handkarren geworfen worden. Im grauen Licht sah sie aus wie ein Bündel Lumpen. Ganach und sein Gehilfe murrten über die lästige Aufgabe und stritten sich darum, wer den Karren schieben sollte.
    Ich gab dem Kerkermeister einen Beutel und sagte: »Ich werde mich um alles kümmern.«
    »Ihr, Euer Exzellenz?«, rief er überrascht.
    »Ihr könnt Euch wieder Euren anderen Pflichten und Eurem Morgenmahl zuwenden«, sagte ich.
    »Aber der Karren ist schwer!«
    »Ich bin ein Mönch. Ich bin daran gewöhnt, körperliche Arbeit zu leisten.«
    Ganachs Gehilfe hielt die Fackel hoch, damit sein Meister die Münzen in dem Beutel zählen konnte. Im Lichtschein vermochte ich Madeleines Gesicht deutlich zu sehen, ihre halb geschlossenen Lider, die bläulichen Lippen. Tränen stiegen mir in die Augen. Mir wurde klar, dass ich womöglich einen schrecklichen Fehler begangen hatte.
    Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Ganach. Es war nicht schwer, seine Gedanken zu erraten: Was willst du mit einer toten Frau? Seine Miene zeugte nicht mehr von übertriebener Unterwürfigkeit, sondern von Gerissenheit und Verachtung.
    »Wenn Ihr wisst, was gut für Euch ist, sagt niemanden ein Wort«, warnte ich ihn. Die Selbstgefälligkeit fiel von ihm ab. Die Drohung eines Inquisitors besaß schließlich ein gewisses Gewicht, auch wenn sie von einem Mönch kam, der nach Ganachs Ansicht durch und durch verdorben war. Er beugte den Kopf und senkte den Blick.
    »Gewiss, Euer Exzellenz.«
    »Und nun geht an Eure Arbeit. Ich werde sicherstellen, dass alles ordnungsgemäß vonstatten geht.«
    Der Kerkermeister und sein Gehilfe schlurften davon. Ich beugte mich über den Karren. Madeleines Augen waren glasig. Ich wollte sie in die Arme nehmen und festhalten, doch es war wohl besser, diesem Drang zu widerstehen.
    Nachdem ich mein Pferd aus dem Stall geholt hatte, legte ich Madeleines Körper quer über den Widerrist. Einen Augenblick später wurden die Stadttore geöffnet, und ich ritt mit Madeleine hindurch. Ich war überzeugt, dass Bruder Subillais davon erfahren würde, trotz meiner Drohungen gegenüber Ganach. Aber das kümmerte mich nicht länger. Ich hatte mich für einen Weg entschieden. Nun konnte ich nicht mehr zurück, selbst wenn ich es gewollt hätte.

MADELEINE
    Kalt, so eisig kalt.
    Ich öffnete meine Augen und nahm die bröckelnden Wände einer verlassenen Hütte wahr, vier Mauern aus Lehm und ein Strohdach, in dem große Löcher klafften. Er hatte ein paar klägliche Zweige aufgeschichtet und ein Feuer entzündet, das kaum Wärme abgab. Die festgestampfte und gefrorene Erde unter mir war so hart, als läge ich auf Stein.
    Er stand in der Türöffnung und blickte hinaus. Die Bäume waren mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Kein Lüftchen schien sich zu regen. Ich hörte ein Pferd schnauben und ungeduldig mit den Hufen stampfen.
    Ich wollte in die Nebelwelt des Schlafes zurückkehren, aber die Kälte hinderte mich daran.
    Er drehte sich um, bemerkte, dass ich wach war und beugte sich rasch zu mir nieder. Sein Gesicht war schön, genauso makellos wie bei unserer ersten Begegnung in Toulouse. Mir fiel auf, dass seine Hände vollkommen geformt waren und so weiß wie die eines Engels. »Ich hielt Euch schon für tot! Ich dachte, der Trank sei vielleicht zu stark gewesen.«
    Er brachte einen Becher mit Wasser an meine Lippen.
    Ich versuchte, meinen Kopf zu heben, doch er war so schwer, als sei er aus Eisen. Also kostete ich die kleineren Freuden meiner neu gewonnenen Freiheit aus. Endlich konnte ich wieder frische Luft atmen und statt undurchdringlicher Finsternis Farben sehen – das Dunkelgrün der Bäume zwischen den Schneeflecken, das Winterblau des tief hängenden Himmels.
    Aber noch immer drang mir ein
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