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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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Lebensende.«
    »Das bedeutet mein Traum?« fragte Kriemhild.
    »Das bedeutet dein Traum«, sagte Königin Ute.
    Da sagte Kriemhild: »Gut, wenn das so ist, daß ich ein kurzes Glück gegen ein langes Unglück aufzuwägen habe, dann will ich auf beides verzichten. Dann will ich mir im Leben keinen Mann nehmen!«
    Sie gelobte es vor sich. Sie schwor vor sich selbst, sie würde nie heiraten, niemals würde sie einem Mann gehören! Und sie gab ihren Entschluß am Hof bekannt.
    Natürlich kamen ihre Brüder und wollten sie umstimmen, Gunther allen voran.
    »Du weißt, Schwester, ich bin nicht der Mann, der ein Reich wie das der Burgunden führen kann«, sagte er. »Meine Brüder und ich hofften, du würdest einen Gatten finden, der uns diese Last abnimmt.«
    »Solange Hagen lebt, wird uns nichts passieren«, war Kriemhilds Antwort.
    Sie zog sich zurück in das oberste Zimmer des höchsten Turmes. Sie ließ sich einen Spinnrocken hinaufbringen und einen kleinen Webstuhl, und sie verbrachte die Tage mit ihrer Arbeit.
    Allerdings legte sie doch Wert darauf, daß in ihrem Gemach ein Fenster herausgebrochen wurde, ein Fenster, das hinunter auf den Innenhof des Schlosses zeigte. Denn immer wieder kamen Bewerber um Kriemhilds Hand, und ohne Zweifel wollte sie ihrem Gelübde treu bleiben, aber es konnte doch wohl nichts schaden, dachte sie, wenn sie sich wenigstens von oben ansah, was ihr da entging. Meistens stand sie nur ganz kurz am Fenster und blickte hinunter, wenn ein neuer Freier kam.
    Dann sagte sie zu ihrer Zofe: »Nein, es ist mir nichts entgangen.«
    Und die Zofe trat ans Fenster, und sie bestätigte: »Nein, es ist Euch nichts entgangen.«
     
    Eines Tages kam wieder ein Freier. Er kam nicht allein, er war in Begleitung von Rittern, alle hoch zu Roß.
    Es hieß, ein Königssohn aus den Niederlanden sei angekommen und wolle sich um die Hand der Schönen bewerben, ein Prinz mit einem Gefolge von zwölf Mann auf wunderbar geschmückten Pferden in wunderbar geschmückten Rüstungen.
    Kriemhild stellte sich an das Fenster ihres Turmes und blickte hinab in den Hof. Sie sah diesen Königssohn. Hoch aufgereckt stieg er vom Pferd, blond wallendes Haar fiel auf seine Schultern. Dann blickte er zum Himmel auf. Er konnte Kriemhild nicht sehen, aber sie sah ihn, seine Augen waren blau.
    Da verweilte sie länger am Fenster.
    Die Zofe fragte: »Rentiert sich so ein langer Blick, Herrin?«
    Kriemhild antwortete ihr nicht, sie schickte sie hinunter, man solle ihr sagen, wer dieser Mann sei.
    Die Dienerin kam zurück und gab Antwort. Das sei Siegfried von Xanten.
    Da blieb dann Kriemhild noch länger am Fenster stehen, und sie konnte ihren Blick nicht von diesem Siegfried aus Xanten in den Niederlanden lassen …

Zweiter Teil
Siegfrieds Jugend

In Xanten
     
    Siegfried war der Sohn von Siegismund und Siegelinde, dem Königspaar aus Xanten in den Niederlanden, und er war ein schwer erziehbares Kind. Schwer erziehbar nicht in dem Sinn, daß er böse war oder daß er bockig war, daß er sich gegen die Ratschläge und die Befehle seiner Eltern stellte, ganz und gar nicht.
    Siegfried war überaus kräftig, er war mit einer Kraft ausgestattet, die er als Kind schon gar nicht, aber auch nicht als Jugendlicher beherrschen konnte. Das meine ich, wenn ich sage, er war ein schwer erziehbares Kind.
    Mit dieser körperlichen Kraft konnten weder er noch seine Erzieher, noch seine Eltern umgehen. Wenn er mit den Hunden spielte, und waren sie noch so groß, dann geschah es immer wieder, daß er einen der Hunde über das Hausdach warf. Er wollte es nicht. Er wollte dem Hund lediglich einen Stoß geben. Und dann das. Der Hund war natürlich tot.
    Anderes Beispiel: Es wurde König Siegismund berichtet, Siegfried habe – da war er vielleicht zwölf Jahre alt – auf der Weide einen Stier getötet.
    Der König fragte seinen Sohn: »Was hast du getan? Warum hast du diesen Stier getötet, Siegfried?«
    Und Siegfried antwortete frei heraus: »Das wollte ich nicht tun, Vater. Ich war auf der Weide und wollte dem Stier Gesellschaft leisten, und der Stier hat mich angeschaut, und ich habe ihn angeschaut. Das ging eine Weile so. Da fand ich nichts dabei. Habe ich bis hierher etwas falsch gemacht, Vater?«
    »Nein«, sagte Siegismund. »Erzähl weiter!«
    »Dann hat dieser Stier geschnauft, und ich habe ebenfalls geschnauft. War das falsch?«
    »Nein.«
    »Ich dachte, es sei ein Spiel. Ich dachte, es ist ein merkwürdiges Spiel. Aber ich dachte auch, Stiere
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