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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Fußgänger möglich, denn weder in Architektur noch in Nutzung war sie als exklusiv angelegt, sondern vielmehr demokratisch. Diese inhaltliche Kluft zwischen dem weltlichen Charakter eines Opernhauses und dem sakralen eines Tempelgebäudes lässt sich mühelos überbrücken mit dem Hinweis, Kultur sei die Religion einer modernen säkularen Gesellschaft.

    Eine Herausforderung des Standorts lag in der Beschaffenheit Bennelong Points als schmaler Halbinsel: Ein Theater dieser Größe mit mehreren großen Veranstaltungssälen musste nicht nur in seinem Inneren dem Publikum gerecht werden – seien es Sicht und Akustik der Säle oder die Wege innerhalb des Gebäudes. Zufahrtswege und Parkmöglichkeiten waren nicht minder entscheidend. Utzons Entwurf sah vor, die Funktionen zu trennen und Zufahrtswege und Parkmöglichkeiten unter das Gebäude zu verbannen. Der Architekt wollte damit den motorisierten vom Fußgängerverkehr trennen und nutzte die Plattform als Trennlinie zwischen Hauptfunktion (Veranstaltung) und Nebenfunktion (Zufahrtswege) des Gesamtgebäudes. Und er erreichte, dass das Gebäude wie eine Skulptur für den Besucher von allen Seiten zugänglich ist – und ausgesprochen entspannt in Augenschein genommen werden kann.

    Wie zu erwarten war, erregte die Entscheidung der Jury internationales Aufsehen, aber naturgemäß wurde vor allem in Australien heftig diskutiert. Die Reaktionen auf die Kür reichten von »großartiger poetischer Architektur« bis zu »dänischer Windbeutel« oder »zusammenfallendes Zirkuszelt«. Überhebliche Architekturkritiker gestanden dem Entwurf zu, ein ganz großer Wurf zu sein, sprachen aber der australischen Öffentlichkeit rundheraus ab, eine solche Perle der Baukunst überhaupt würdigen zu können.
    Die Entscheidung für den spektakulären und vorbildlosen Entwurf Utzons war überaus mutig, aber auch richtungweisend. Zweifellos ein Wagnis, sollte sie der Stadt nicht nur ein neues Wahrzeichen, sondern eine zeitlose Architekturikone und gebauten Ausdruck australischen Stolzes verschaffen. Positiv wirkte nicht zuletzt die Ankunft des charismatischen Dänen mitsamt Familie 1958 : Sydney war hingerissen.
    Die unverkennbare Linienführung der Dachmuscheln wurde schon vor Fertigstellung des Baus weltweit bekannt. Eine australische Frauenzeitschrift stellte bereits 1962 einen Hut vor, der dem noch unfertigen Opernhaus nicht nur nachempfunden, sondern nach ihm benannt war – in extravaganter und erheblich ausladender Form wiederholte das die australische Comedy-Ikone Dame Edna in den Siebzigern anlässlich eines Besuchs im britischen Hut-Eldorado Ascot. Sehr rasch wurde das Hauptwerk des dänischen Architekten zum Gebäude des 20 . Jahrhunderts schlechthin – über kein anderes sollte so viel debattiert und geschrieben werden wie über das Sydney Opera House. Lange vor der Fertigstellung des Baus rühmte 1965 der Schweizer Sigfried Giedion, einer der wichtigsten Architekturhistoriker seiner Zeit, das Opernhaus von Sydney als wegweisend für die dritte Generation moderner Architektur im 20 . Jahrhundert.

    Die Probleme ließen jedoch nicht lange auf sich warten, denn die Umsetzung des großen Wurfs in baulicher Form erwies sich als ungemein schwierig. Vor allem die Dachmuscheln ließen sich nicht wie von Utzon vorgesehen realisieren, so dass zunächst jahrelang herumexperimentiert und schließlich in veränderter Form gebaut wurde, was den beabsichtigten organischen Eindruck der Dachkonstruktion beeinträchtigt. Die technischen Probleme beim Bau der Oper von Sydney, insbesondere bei den Dachschalen, führten dazu, dass erstmals in größerem Umfang für ein Konstruktionsprojekt Computer eingesetzt wurden. Dabei handelte es sich damals noch um raumhohe und vergleichsweise behäbige Riesenmaschinen, denen wenig Verlässlichkeit zugesprochen wurde. Heute können Architekten, Statiker und Konstrukteure unter einer Vielzahl eigens für ihre Zwecke entworfener Softwareprogramme auswählen – davon konnten die Erbauer des Opernhauses von Sydney nicht einmal träumen, weil Derartiges sich selbst am fernsten Horizont noch nicht abzeichnete. Vielmehr war schon die Verfügbarkeit ausreichend leistungsstarker Computer fraglich – und zwar weltweit. Die nötigen Programme mussten sie ohnehin eigenhändig erstellen.

    Jahre gingen ins Land, in denen sich das Opernhaus hartnäckig seiner Vollendung entgegenstemmte. Die australischen Zeitungskarikaturisten hatten Gelegenheit, sich an dem Gebäude
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