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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W
Autoren: Urlich Plenzdorf
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würde. Aber auf die Art hatte ich noch die Nacht lang Zeit zum Verbessern. Ich war wieder ruhiger. Mutter Wiebau konnte höchstens am nächsten Vormittag auf tauchen. Sie hatte mir noch eine Chance gegeben. Auf dem Bau war alles dunkel. Ich tauchte unter unseren Salonwagen und fing an, die Überwurfmutter zu lösen. Blöderweise hatte ich kein anderes Universalwerkzeug als die halbvergammelte Rohrzange. Außerdem saß die Übermutter fest wie Mist. Ich riß mir fast den halben Arsch auf, bis ich sie locker hatte. In dem Moment hörte ich, daß Zaremba im Wagen war, und zwar mit einer Frau. Ich sagte es schon. Wahrscheinlich hatte ich sie aufgestört. Jedenfalls, als ich unter dem Wagen vorkroch, stand er vor mir. Er knurrte: No?
    Er stand direkt vor mir und starrte mich an. Allerdings stand er da im Licht, das aus dem Wagen kam. Er hatte dieses kleine Beil von uns in der Hand. Ich nahm damals an, er war einfach geblendet. Aber er hatte dieses Grinsen in seinen Schweinsritzen. Auf die Entfernung hat er mich einfach sehen müssen. Ich machte zwar keine Bewegung. Ich kann nur jedem raten, in dieser Situation einfach keine Bewegung zu machen. Meiner Meinung nach war Zaremba der letzte Mensch, der mich gesehen hat und der auch genau wußte, was gespielt wurde.
    Auf dem ganzen Rückweg sah ich keinen Schwanz. Um die Zeit hätte man auch nach Mittenberg gehen können. Überhaupt sah Berlin nach acht genau wie Mittenberg aus. Alles hockte vor der Röhre. Und die paar Halbstarken verkrümelten sich in den Parks oder Kinos oder sie waren Sportler und zum Training. Kein Schwanz auf der Straße.
    Gegen zwei hatte ich die Düse im Stutzen. Ich füllte die Hälfte der Ölfarbe in die Patrone. Dann überprüfte ich noch mal die Schaltung. Ich sah mir überhaupt das ganze Ding noch mal an. Ich sagte wohl schon, wie es aussah. Es war normalerweise technisch nicht vertretbar. Aber mir kam es auf das Prinzip an. Das war schätzungsweise mein letzter Gedanke, bevor ich auf den Knopf drückte. Ich Idiot hatte doch tatsächlich den Klingelknopf von der Laube abgebaut. Ich hätte jeden normalen Schalter nehmen können. Aber ich hatte den Klingelknopf abgebaut, bloß damit ich zu Addi sagen konnte: Drück mal auf den Knopf hier.
    Ich war vielleicht ein Idiot, Leute. Das letzte, was ich merkte, war, daß es hell wurde und daß ich mit der Hand nicht mehr von dem Knopf loskam. Mehr merkte ich nicht. Es kann nur so gewesen sein, daß die ganze Hydraulik sich nicht bewegte. Auf die Art mußte die Spannung natürlich ungeheuer hochgehen, und wenn einer dann die Hand daran hat, kommt er nicht wieder los. Das war’s. Macht’s gut, Leute!

    »Als Edgar auch am Dienstag nicht kam, gingen wir gegen Mittag los.
    Auf dem Grundstück war die VP. Als wir sagten, wer wir sind, sagten sie uns, was los war. Auch, daß es keinen Zweck hatte, ins Krankenhaus zu gehen. Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Sie ließen uns dann in die Laube. Das erste, was mir auffiel, war, daß die Wände voller Ölfarbe waren, vor allem in der Küche. Sie war noch feucht. Es war dieselbe, mit der wir die Küchenpaneele machten. Es roch nach der Farbe und nach verschmortem Isolationsmaterial. Der Küchentisch lag um. Sämtliches Glas lag in Scherben. Unten lagen ein verschmorter Elektromotor, verbogene Rohrenden, Stücke von Gartenschlauch. Wir sagten denen von der VP, was wir wußten, aber eine Erklärung hatten wir auch nicht. Zaremba sagte noch, aus welchem Betrieb Edgar gekommen war. Dann war Schluß.
    Wir machten an dem Tag keinen Handschlag mehr. Ich schickte alle nach Hause. Bloß Zaremba ging nicht. Er fing an, unter unserem Bauwagen unsere alte Spritze vorzuziehen. Er untersuchte sie, und dann zeigte er mir, daß die Düse fehlte. Wir gingen sofort zurück auf Edgars Grundstück. Die Düse fanden wir in der Küche in einem Stück alten Gasrohr. Ich suchte zusammen, was sonst noch rumlag, auch das Kleinste. Auch, was auf dem Tisch festgeschraubt war. Zu Hause reinigte ich es von der Ölfarbe. Über Weihnachten versuchte ich, die ganze Anordnung zu rekonstruieren. Ein besseres Puzzlespiel. Ich schaffte es nicht. Wahrscheinlich fehlte doch noch die Hälfte der Sachen, vor allem ein Druckbehälter oder etwas in der Art. Ich wollte noch mal in die Laube, aber da war sie schon eingeebnet.«

    Schätzungsweise war es am besten so. Ich hätte diesen Reinfall sowieso nicht überlebt. Ich war jedenfalls fast so weit, daß ich Old Werther verstand, wenn er nicht mehr
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