Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W
Autoren: Urlich Plenzdorf
Vom Netzwerk:
ich die Luftbüchse in den Klauen. Dieter sagte keinen Ton dazu. Und als Charlie mit dem Freßchen für ihn kam, sagte sie sofort: Vorschlag, Männer, ja? Wir gehen dann zusammen schießen, an den Bahndamm. Beibringen wolltst du’s mir schon immer.
    Dieter knurrte: Ist doch kein Büchsenlicht mehr um die Zeit.
    Er war dagegen. Er wollte arbeiten. Er hielt das für Kinderzeug. Genau wie das mit der Leiter. Aber Charlie hielt ihre Scheinwerfer voll auf ihn, und da gab er nach.
    Schlecht für ihn war bloß, daß er dann am Bahndamm einfach nicht mitspielte. Wir schossen auf ein altes Parkverbotsschild, das ich ziemlich schnell aufgerissen hatte. Das heißt: Charlie schoß. Dieter mimte die Zielanzeige, und ich korrigierte Charlies Technik. Das hatte sich so ergeben, weil Dieter überhaupt nicht daran dachte, sich um Charlie zu kümmern. Er ließ die Kinder sozusagen spielen. Er dachte wahrscheinlich bloß an die Zeit, die ihn das alles kostete.
    Ich konnte ihn an sich verstehen, trotzdem brachte ich mich wegen Charlie halb um. Ich zeigte ihr, wie man den Kolben in die Schulter zog und wie man die Füße im rechten Winkel stellte und daß man von oben ins Ziel ging und dabei ausatmete, und das ganze Zeug aus der vormilitärischen Ausbildung, das sie einem da beibringen. Vollkorn, Feinkorn, gestrichen Korn und Druckpunkt und das. Charlie schoß und schoß und ließ sich geduldig von mir anfassen, bis sie dann doch merkte, was mit Dieter los war, oder vielleicht, bis sie es schließlich merken wollte. Da hörte sie auf. Übrigens hatte Dieter recht gehabt, es war eigentlich längst zu dunkel. Bloß mußte Dieter versprechen, am nächsten Sonntag mit ihr einen Ausflug zu machen, irgendwohin, Hauptsache raus. Von mir war nicht die Rede, jedenfalls nicht ausdrücklich. Charlie machte das sehr geschickt. Sie sagte: ...machen wir einen Ausflug.
    Da war alles drin. Aber vielleicht bildete ich Idiot mir auch bloß alles ein. Vielleicht dachte sie wirklich nicht an mich. Vielleicht wär alles, was dann kam, nicht passiert, wenn ich Idiot mir nicht eingebildet hätte, Charlie hätte auch mich eingeladen. Aber ich bedaure nichts. Nicht die Bohne bedaure ich was.
    Nächsten Sonntag saß ich neben Charlie auf der Liege in ihrem Zimmer. Es regnete wie blöd. Dieter saß an seinem Schreibtisch und arbeitete, und wir warteten, daß er fertig wurde. Charlie war schon im Regenmantel und allem. Sie war überhaupt nicht überrascht gewesen oder was, als ich klingelte. Also hatte alles seine Richtigkeit. Oder vielleicht war sie auch überrascht, aber sie zeigte es nicht. Diesmal schrieb Dieter. Mit zwei Fingern. Auf der Maschine. Er schrieb aus dem Kopf. Eine Arbeit, dachte ich, und das stimmte wohl auch. Ich sah sofort: Es rollte nicht bei ihm. Das kannte ich. Er tippte ungefähr alle halbe Stunde einen Buchstaben. Das sagt wohl alles. Charlie sagte schließlich: Du kannst es doch nicht zwingen!
    Dieter äußerte sich dazu nicht. Ich mußte die ganze Zeit auf seine Beine sehen. Er hatte sie um die Stuhlbeine gedreht und sich mit den Füßen dahinter festgehakt. Ich wußte nicht, ob das seine Angewohnheit war. Aber mir war eigentlich die ganze Zeit klar, daß er nicht mitkommen würde.
    Charlie fing wieder an: Komm! Laß doch mal alles stehn und liegen, ja? Das wirkt manchmal Wunder!
    Sie war nicht etwa wütend oder so. Noch nicht.
    Sie war vielleicht so sanft, wie eine Krankenschwester sein soll.
    Dieter meinte: Bei dem Wetter doch nicht mit ’nem Boot.
    Ich weiß nicht, ob ich schon sagte, daß Charlie ein Boot ausleihen wollte.
    Charlie sagte sofort: Dann nicht Boot, dann Dampfer. An sich hatte Dieter recht. Bei dem Wetter im Boot war eine echte Schnapsidee.
    Er fing wieder an mit Tippen.
    Charlie: Dann nicht Dampfer. Dann bloß ein paar Runden ums Karree.
    Das war ihr letztes Angebot, und es war wirklich eine Chance für Dieter. Er rührte sich aber nicht.
    Charlie: Außerdem sind wir ja nicht aus Zucker.
    Ich glaube, in dem Moment war es schon mit ihrer Geduld vorbei. Dieter sagte ruhig: Fahrt doch.
    Und Charlie: Du hast es fest versprochen! Dieter: Ich sag doch: Fahrt!
    Da wurde Charlie laut: Wir fahren auch!
    In dem Moment ging ich. Wie das weiterging, konnte sich jeder ausrechnen. Ich war auch völlig fehl da am Platze. Ich meine: ich ging aus dem Zimmer. Ich hätte natürlich ganz gehen sollen. Das sehe ich ein. Aber ich kriegte es einfach nicht fertig. Ich ständerte da in der Küche rum. Ich mußte plötzlich an Old Werther
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher