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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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vorgeordnete Potenz anzusehen. «Phänomene der Machtverteilung sind», heißt es etwa unmissverständlich in «Wirtschaft und Gesellschaft», «die Klassen». In seiner historischen Analyse wird jedoch diese Präferenz so diszipliniert, dass kein Monismus aufkommt.[ 4 ]
    Herrschaft beruht bei Weber stets auf unterschiedlichen Legitimationsprinzipien, unterschiedlichen Machtressourcen, unterschiedlichen Verwaltungsstäben und unter schiedlichen Arten der Appropriation von Herrschaftsmitteln und -rechten. Herrschaft kann keineswegs direkt aus ökonomischer Überlegenheit hergeleitet werden. Vielmehr ist Herrschaft kraft Besitz von Produktionsmitteln nur ein Sonderfall der Verfügungsgewalt über herrschaftlich nutzbare Kapazitäten. Traditionale, patrimoniale, charismatische, rationale Herrschaftssysteme beruhen in der Regel jeweils auf einer anderen Basis, wie Herrschaft als sozial normierte Macht überhaupt in Gestalt verschiedenartiger Durchsetzungschancen von Individuen, Verbänden und Institutionen auftritt.
    Wirtschaft als ein Ensemble unterschiedlicher ökonomischer Ressourcen ist auch im Hinblick auf die Struktur Sozialer Ungleichheit fundamental wichtig, denn Klassen beruhen für Weber zunächst einmal in der Regel auf dem Besitz oder Ausschluss von wirtschaftlich nutzbaren Gütern, Leitungsfunktionen, Erwerbsmitteln und Rechtstiteln. Daher kann er «positiv» und «negativ privilegierte» Besitz- und Erwerbsklassen unterscheiden.
    Kulturelle Prägekräfte werden von Weber im Hinblick auf die Stratifikationsordnung insbesondere in dreierlei Gestalt berücksichtigt.
    1. Im Vordergrund steht der Einfluss der verhaltens- und handlungsleitenden religiösen oder ideellen «Weltbilder», welche die herrschaftliche Organisation, die ökonomische Ressourcennutzung, die Prestigeränge beeinflussen, ja festlegen und legitimieren.
    2. Das Verständnis der gesamten gesellschaftlichen Hierarchie ist in dem Sinne kulturell geprägt, dass sie als gottgewollte, «natürliche» Ordnung, als irdisches Spielfeld von Gottheiten und magisch-animistischen Kräften oder aber als ein von Menschen, etwa wegen der eklatanten Ungerechtigkeit, veränderbares, da historisch kontingentes Gefüge verstanden wird.
    3. Spezifische «soziale Ehre», Prestige oder Status wird Individuen, Herrschaftsverbänden, Berufsständen, Klassen aufgrund normativer Vorentscheidungen oder aber aufgrund anderer soziokultureller Bewertungskriterien zuerkannt.
    Jedes System der Sozialen Ungleichheit kann daher, Weber zufolge, als ein historisches Strukturgefüge analysiert werden, das durch die ungleiche Verteilung von Macht- und Herrschaftschancen, durch ungleiche ökonomische Lagen, durch ungleiches Prestige und durch unterschiedliche Muster der Weltdeutung charakterisiert ist.
    Ähnlich wie Marx verfügt auch Weber über zwei Klassenbegriffe. Da gibt es zum einen den universalisierten Klassenbegriff, der auf den drei Ungleichheitsdimensionen, offenkundig aber primär auf der ökonomischen Lage beruht. Auf diese Weise können babylonische Kaufleute, römische Patrizier, fränkische Ritter, englische Industriearbeiter jeweils in Klassen zusammengefasst werden. Dieser allgemeine Klassenbegriff besitzt spezifische Vorzüge, etwa für den transnationalen, interkulturellen Vergleich oder für die historische Längsschnittanalyse. Er besitzt aber auch spezifische Grenzen, etwa die Verwischung historisch-markanter Unterschiede, den wechselnden Begriffsinhalt usw.
    Historisch unvergleichlich präziser ist zum anderen der an die Funktionsmechanik kapitalistischer Märkte gebundene Begriff der «marktbedingten Klassen». Sie beruhen auf der ungleichen Güter- und Leistungsverwertung auf Märkten, mithin auf einer immens variablen Angebotskapazität, die auch über Macht oder Ohnmacht entscheidet. Die Klassenlage wird im Kern als Marktlage verstanden. Diese Kategorie besitzt eine geringere zeitliche Reichweite, aber die größere Trennschärfe und die genauere historische Tiefendimension. Klassenkämpfe treten zwar häufig auf, doch der Klassenkampf und Kollektivakteure mit einem ausgebildeten Klassenbewusstsein sind ein historisch seltener Grenzfall.
    In beiden Fällen fasst Weber mit der Kategorie der «Sozialen Klasse» im historischen Prozess integrierte, durch gemeinsame Lebenslage, Interessen und regelmäßige intergenerationelle Kohäsion verbundene große Sozialformationen zusammen. Auf diese Weise können aus dem bunten Pluralismus der Besitz-, Erwerbs- und
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