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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Autoren: Kai Meyer
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schmalen Rahmen. Manche waren blind und gelblich, andere von kristallener Klarheit. Jede kleine Lücke war durch einen noch kleineren Spiegel geschlossen worden: Insgesamt ergab sich ein Meer aus Licht und verzerrten Reflexionen. In der Mitte des Saals stand eine menschliche Statue mit dem Schädel eines Schakals. Sie war schwarz vom Kopf bis zur Sohle und maß mehr als die Höhe zweier Männer. Ihre Glieder waren lang und dünn. Das Schakalhaupt mit seiner spitzen langen Schnauze schien herrisch auf die Kämpfer herabzublicken, aus schmalen, sichelförmigen Augen.
    Die Statue war von oben bis unten mit tiefen Kerben übersät. Jemand hatte mit einer scharfen Waffe auf sie eingeschlagen, mit einem Schwert oder Beil. Nur der Kopf war unversehrt, so als hätte er alle Schläge unbeschadet abprallen lassen.
    Der schlanke blonde Junge saß im Schneidersitz am Fuß der Anubisstatue und blickte seinen Feinden entgegen. Doch obwohl immer mehr Gardisten in den Spiegelsaal strömten, ruhte sein Blick nur auf Faustus. Er ließ ihn nicht aus den Augen.
    »So sehen wir uns also wieder«, sagte der Junge leise, die Worte des Satans aus dem Mund eines makellosen Jünglings. Er folgte Faustus’ Blick an der Statue empor. »Ich habe ihn um die gleiche Gunst gebeten, die er dir gewährt hat. Aber er hat mich nicht erhört.«
    Leiser, fast ein wenig betroffen wiederholte er den letzten Satz: »Hat mich nicht erhört …«
    »Auf sein Abbild mit einer Axt einzuschlagen, hat Euch gewiss kein Wohlwollen eingebracht.«
    »Sein Schweigen hat mich wütend gemacht«, murmelte Alexander, und fast gingen seine Worte im Schaben der Stiefel unter, als immer mehr Gardisten in den Saal drängten, um ihren Gegner mit eigenen Augen zu sehen.
    Der Oberste der Männer trat neben Faustus. »Wir haben Befehl, ihn zu töten«, grollte er, ohne seine Augen von dem Jungen zu nehmen.
    »So wie die letzten Eluciderii?«
    Der Soldat blickte überrascht auf. »Ihr wisst über vieles Bescheid, Ketzer.«
    »Nennt mich, wie Ihr wollt. Gewiss werdet Ihr nicht vergessen, dass ich unter dem Schutz des Papstes stehe.«
    »Auch das ist mir bekannt. Und was die Engelsbrut auf dem Bauplatz angeht – jene, die noch übrig waren, sind tot. Die meisten hatte Eure verbrannte Freundin ohnehin schon erschlagen.«
    Faustus wurde hellhörig, wandte sich aber wieder drängenderen Dingen zu.
    »Ihr seid gescheitert, Alexander«, sagte er zu dem Borgia, der immer noch am Boden vor der Statue saß. Dann trat er bis auf zwei Schritte an ihn heran. Ein Murmeln ging durch die Reihen der Gardisten. Der sonderbare weiße Junge flößte ihnen Furcht ein. Faustus beugte sich vor. »Sie werden Euch in Stücke hacken«, raunte er dem Borgia zu. »Schade, ich hätte gerne von Euch erfahren, wie Ihr Eure Wiedergeburt zustande gebracht habt.«
    Er blickte hinüber zur Spiegelwand, sah sich und den Jungen dutzendfach zurückschauen.
    In einem Spiegel aber sah er ein Gesicht, das weder ihm noch Alexander gehörte. Er unterdrückte ein überraschtes Lächeln und richtete sich auf, drehte dem Jungen den Rücken zu, um zurück zu den Gardisten zu gehen.
    Hinter ihm zog der Borgia ein langes Stilett unter seinen Beinen hervor, sprang auf –
    – und dann geschah alles zugleich.
    Die Soldaten brüllten auf, manche vor Schreck, andere riefen Warnungen an ihre Kampfgefährten. Faustus aber drehte sich nicht um, denn im selben Moment zerbarst einer der Spiegel, und dahinter kam eine schmale Gestalt zum Vorschein, zäh und zierlich, mit einem gespannten Bogen in den Händen.
    Der Bogen war der des jungen Spiritus. Die Hände aber, die ihn hielten, gehörten einer anderen. Ebenso wie das Gesicht, das Faustus hinter dem Glas gesehen hatte.
    Angelina ließ den Pfeil von der Sehne schnellen, und bevor das Stilett Faustus’ Rücken erreichen konnte, durchbohrten Spitze und Schaft die Kehle des Borgia. Die Kraft des Aufpralls riss ihn zurück. Der Dolch klirrte zu Boden. Der Junge sank zu Füßen Anubis zusammen, während ein Blutfächer aus seinem Hals sprühte und sich die Kerben im Stein mit Blut füllten. Seine Augen brachen, sein Brustkorb erstarrte.
    »Hierher!«, brüllte eine Stimme.
    Es hätte ihrer nicht bedurft. Faustus wusste auch so, was er zu tun hatte. Wie von allen Teufeln gehetzt stürzte er auf den zerbrochenen Spiegel zu. In den Geheimgang dahinter. Zu den drei Umrissen, die sich darin abzeichneten.
    Angelina ließ den Bogen sinken. Faustus tauchte neben ihr ins Dunkel.
    »Angelina!
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