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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Autoren: Kai Meyer
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die Flucht, ebenso die Landsknechte, der Henker und seine Leute.
    Asendorf blickte sich fassungslos um und mußte mitansehen, wie ihn sein Gefolge im Stich ließ. Er zögerte einen Augenblick, halb zornig, halb verwirrt, dann entschloß er sich selbst zur Flucht. Mit wehenden Gewändern sprang er vom Podest und rannte mit einigen der Stadtoberen durch eine Seitentür ins Schloß.
    Es schienen kaum wenige Herzschläge vergangen, dann war der Platz geräumt – bis auf den gefesselten Faustus und den Pesttransport. Die Menschen waren in ihre Häuser geflohen, die Obrigkeit hatte hinter den Mauern des Schlosses Zuflucht gefunden. Als letzter warf der Priester das Tor der Schloßkirche hinter sich zu. Er suchte mit dem halben Dutzend Kinder Schutz unter dem Mantel des Herrn. Die häretischen Bücher lagen achtlos im Schmutz vor dem Scheiterhaufen, manche aufgeklappt, andere zerfleddert. Lose Seiten flatterten im Wind.
    Faustus starrte voller Erstaunen auf den Pestkarren, der sich mit knirschenden Rädern über den Schloßplatz quälte. Die Gestalt an den Zügeln würdigte ihn keines Blickes, als sie den Scheiterhaufen passierte. Einen Moment lang hatte Faustus geglaubt, Verbündete seien ihm unverhofft zur Hilfe gekommen, doch je weiter sich der Karren von ihm fort bewegte, desto geringer wurde seine Zuversicht. Als der Leichenwagen schließlich vor der Schloßkirche zum Stehen kam, war Faustus klar, daß dies keine List seiner Freunde darstellte. Man war keineswegs gekommen, um ihn zu retten.
    Schlimmer noch: Einer der Fackelträger hatte vor seiner Flucht Feuer an den Scheiterhaufen gelegt. Rechts von Faustus brannte das Reisig lichterloh, und es war allein eine Frage der Zeit, ehe die Flammen auf den Rest des Podests übergreifen würden. Schon spürte er die brüllende Hitze auf der Haut, fühlte, wie sich seine Kleidung erwärmte und ihm der Schweiß in Strömen aus den Poren schoß. Er hatte sich geschworen, vor Asendorfs Augen kein Zeichen von Furcht oder Reue zu zeigen. Doch, zum Teufel damit, der Inquisitor war geflohen; er würde nicht mitansehen können, wie sein Opfer sich gegen den Tod auflehnte.
    Mit aller Kraft stemmte Faustus sich gegen die Fesseln. Erst gaben sie einen Fingerbreit nach, dann aber hielten sie straff und stramm seiner Gegenwehr stand. Die Flammen loderten höher und höher. Immer lauter wurde ihr Knistern und Fauchen, immer heißer ihre tödliche Glut. Die Hitze begann weh zu tun.
    Der krumme Pferdeführer umrundete derweil sein Gefährt. Plötzlich gerieten die Leichen in Bewegung. Glieder wurden gestreckt, Gesichter gehoben. Blitzschnell sprangen die sechs Gestalten von dem Karren und rannten hinüber zur Kirchentür. Zwei von ihnen warfen sich kraftvoll dagegen, und sogleich flog das Portal krachend nach innen. Auch der Pferdeführer straffte sich, entwickelte mit einem Mal erstaunliche Behendigkeit und folgte den übrigen ins Innere des Gotteshauses. Innerhalb weniger Atemzüge stand der Karren verlassen da, und die eben noch Toten waren in der Kirche verschwunden.
    Faustus bemerkte es aus den Augenwinkeln, doch er hatte bei weitem andere Sorgen. Das Reisig brannte jetzt in einem Halbkreis um den Scheiterhaufen. Schon bald würde sich der Flammenring schließen. Und doch blieb alles Zerren und Ziehen an den Fesseln ohne Wirkung. Faustus klebte wie festgeschmiedet am Pfahl.
    Aus dem offenen Kirchentor ertönte Geschrei, dann stürmten die Kinder mit wehenden Gewändern ins Freie. Heulend rannten sie davon und verschwanden in einer nahen Gasse.
    Wenige Herzschläge lang herrschte Stille. Dann sprangen sechs der insgesamt sieben Gestalten aus dem Tor. Hinter ihnen drang Rauch durch das Portal. So schnell sie konnten überquerten die Maskierten den Platz und verließen die Stadt durch das Westtor.
    Verzweifelt sann Faustus nach Rettung. Seine Gedanken tobten. Irgendeinen Weg mußte es geben, irgendein Mittel, der Feuersbrunst zu entkommen. Die Enden des Flammenkreises rückten unerbittlich aufeinander zu. Es blieb kaum noch Zeit. Die Hitze wurde unerträglich. Es roch nach Verschmortem, und es dauerte einen Augenblick, ehe Faustus begriff, daß sich seine Haare zu kräuseln begannen. Die Welt um ihn herum zerfloß allmählich zu einem trüben Gemisch aus Licht und Schatten.
    Mit einem Schrei stürmte die siebte Gestalt aus der Kirchentür. Die Tücher, die sie sich um den Kopf geschlungen hatte, brannten lichterloh. Keuchend zerrte sie an den Bandagen. Das letzte, was Faustus erkannte,
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