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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Autoren: Kai Meyer
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anders. Das mochte teils daran liegen, daß Wittenberg eine Kleinstadt war, zwar stolzer Sitz einer Universität, doch klein und ländlich nichtsdestotrotz.
    Wichtiger jedoch war das Bestreben Konrads von Asendorfs, sein Opfer so schnell wie möglich den Flammen zu überantworten, so daß zwischen Verhaftung und Urteilsvollstreckung kaum ein ganzer Tag verstrich. Es hatte kein echtes Verhör gegeben, keine Folter und keine Verhandlung. Asendorf hatte sein Urteil gesprochen, und in der gleichen Stunde wurden die Flammen geschürt.
    Ihr müßt wissen, Faustus und Asendorf kannten einander schon lange. Der Inquisitor jagte den Schwarzkünstler seit Jahren durchs ganze Land, von einer Grenze des Heiligen Römischen Reichs zur anderen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, Euch die Hintergründe dieser persönlichen Feindschaft zu schildern – doch verzagt nicht, Ihr werdet später davon hören. Vorerst soll die Feststellung genügen, daß der Inquisitor den Faustus zu seiner Nemesis erkoren hatte, seinem Erzfeind, den es um jeden Preis zu vernichten galt. So also kam es, daß die Hinrichtung an jenem Pfingstmontag mit erstaunlich niedrigem Aufwand, ohne prächtigen Blumenschmuck und Prozession vonstatten ging. Selbst der übliche Gottesdienst vor Vollstreckung des Urteils hatte sich auf wenige Gebete und ein verkürztes Kyrie eleison beschränkt.
    Doch hört nun, wie es weiterging:)
    Während die Fackelträger noch mit erhobenen Armen rund um den Scheiterhaufen Aufstellung bezogen, winkte ein Geistlicher einige Kinder herbei. Es waren drei Jungen und drei Mädchen, und alle trugen festliche Gewänder mit aufgestickten Kreuzen. In ihren Händen hielten sie schwere Bücher. Mochte der Teufel wissen, wo der Pfaffe sie aufgetrieben hatte, denn es handelte sich um Exemplare des Talmuds und Korans, um Werke der Katharer, Manichäer und Nestorianer.
    Ehrenvolle Aufgabe der Kinder war es, die ketzerischen Schriften später in die Flammen zu werfen. Der Pfaffe, der die Darbietung offenbar als überraschende Gefälligkeit für den Inquisitor geplant hatte, versicherte sich mit einem Seitenblick der Gunst Asendorfs. Der Hexenjäger lächelte erfreut und schenkte dem Priester ein huldvolles Nicken.
    Der Henkersknecht gab seinen Männern ein Zeichen. Alle vier senkten die Fackeln.
    Ein gellender Schrei zerriß die Stille.
    »Die Pest!« kreischte eine Stimme. »Die Pest ist da!«
    Das erste Reisigbündel fing knisternd Feuer.
    Aller Augen rasten herum. Die Menschenmenge geriet in Bewegung. Selbst Asendorf nahm den Blick vom Scheiterhaufen seines Gegners und blickte zur Quelle des Aufruhrs.
    Durch das Stadttor an der Westseite des Schloßplatzes kamen zwei Wachleute herbeigestürmt. Sie hatten ihre Spieße fallengelassen und mischten sich unter die gaffenden Menschen. In einer einzigen Wellenbewegung strömten die Männer und Frauen auf sie zu.
    »Die Pest ist da!« schrie der eine noch einmal. »Flieht, Leute, flieht! Die Seuche holt uns alle!«
    Wittenbergs Bürgermeister sprang von seinem Platz am Fuße des Inquisitor-Podests und hob an, die Menschen zur Ruhe zu gemahnen. Sein Versuch scheiterte, bevor er überhaupt den Mund öffnen konnte.
    Im gleichen Moment ertönte ein Knirschen, laut und immer lauter, dann schob sich ein Pferdekarren durch das Stadttor. Seine hölzernen Scheibenräder quietschten und krachten, während sie mühsam über das Pflaster holperten. Ein einziger Klepper hing im Geschirr und kämpfte wacker mit dem Gewicht seiner Last.
    Hinten auf dem Wagen lagen Leichen. Mindestens ein halbes Dutzend. Ihre starren, verwinkelten Glieder waren mit schmutzigen Tüchern umwickelt. Eiter und dunkles Blut tränkten die Stoffe. Dort, wo die Haut der Toten zu sehen war, prangten schwarze, häßliche Flecken.
    Eine krumme Gestalt, ebenfalls in Tücher gehüllt, die alleine Augen und Nase freiließen, führte das Pferd am Zügel. Sie hielt den Rücken gebeugt, keuchte bei jedem Atemzug und verfiel in ein entsetzliches Husten, würgte Schleim hoch und spie ihn angewidert aufs Pflaster – gleich vor die Füße der vorderen Zuschauer.
    Die Menge schien zu explodieren. In einer einzigen, unwirklichen Eruption aus Panik und Geschrei strömte der Pöbel auseinander, sternförmig, fort von dem Karren und seiner tödlichen Fracht. Brüllend flohen die Männer und Frauen, rannten sich gegenseitig über den Haufen, kreischten und heulten, als sei ihnen der Leibhaftige selbst auf den Fersen. Bürgermeister und Stadtrat ergriffen
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