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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Autoren: Kai Meyer
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geschlossene Bibel in den kleinen Händen. Das Buch war fast so groß wie sein Oberkörper. In jeder anderen Lage hätte Faustus gelächelt; seit er Asendorf kannte, ließ sich der Hexenjäger von dem kleinen Mann die Heilige Schrift nachtragen, ganz gleich, wo er sich aufhielt. Der Bibelzwerg, ein häßlicher Kerl mit knorrigem Gesicht und feuerrotem Haar, schien mit dieser Aufgabe vollauf zufrieden.
    Hinter dem Inquisitor standen weitere seiner Gefolgsleute, darunter einige, die ihn stets begleiteten, und andere, die sich für die Zeit seines Besuchs aus der Wittenberger Bürgerschaft rekrutierten. Da war ein hagerer Vikar, der für Asendorf die lästige Pflicht der Nachforschungen über die Lebensumstände eines Angeklagten übernahm; es gab zwei Qualifikatoren, Männer des Rechts, deren Aufgabe es war, die Urteile des Inquisitors so vorzuformulieren, daß sie der weltlichen Gesetzgebung nicht widersprachen; dazu kamen ein Notar, der mit seiner Unterschrift die Aussagen des Beschuldigten bestätigte, ein Prokuror, der als Mönch während der Verhandlung die Rolle des kirchlichen Anklägers übernahm, außerdem drei weitere Männer und Frauen – zweifellos Familiares, geheime Denunzianten, welche die Angeklagten zum Geständnis überreden sollten. Sie waren von allen Knechten des Hexenjägers die schlimmsten, denn die Familiares unterstanden keinem Gericht, genossen völlige Straffreiheit und verfuhren mit dem gemeinen Volk nach eigenem Gutdünken. Oft genug erpreßten sie reiche Bürger mit der Androhung, sie auf den Scheiterhaufen zu bringen; wer nicht zahlte, starb in den heiligen Flammen.
    Zu Faustus’ Überraschung gab Asendorf seinem Anhang einen Wink, zu verschwinden. »Laßt mich einen Augenblick mit dem Angeklagten allein«, befahl er leise und doch eindringlich genug, daß niemand zu widersprechen wagte. Es war ungewöhnlich, daß ein Inquisitor das geheime Gespräch mit einem Beschuldigten suchte. Vor allem bei den beiden Rechtsgelehrten mußte dieses Vorgehen auf stillen Widerspruch stoßen, denn Asendorf zeigte damit nur zu deutlich, wie wenig er sich um die Gesetze scherte.
    Die Prozession der Männer und Frauen verschwand schweigend durch die Tür. Faustus blieb mit dem Hexenjäger zurück. Allein der Bibelzwerg saß noch reglos zu Asendorfs Füßen auf dem Parkett, als gehöre er zum Mobiliar der Halle. Der Befehl des Inquisitors schien für den Kleinen nicht zu gelten.
    Asendorf, immer noch in seine schwarzen Gewänder gehüllt, den Kopf mit einer Kappe bedeckt, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete Faustus mit scharfem Blick. Man hatte dem Gefangenen beide Hände auf den Rücken gebunden. Sein schmächtiges Gesicht war rußverschmiert, die einfache Kleidung schmutzig. Bei jedem anderen hätte Faustus den Versuch unternommen, den Willen seines Gegenübers kraft seiner Gedanken zu brechen. Doch an Asendorf war er mit derlei schon bei früheren Begegnungen gescheitert. Der Hexenjäger sprach, wie zudem die meisten Menschen, nicht auf geistige Beeinflussung an. Das letzte Mal, als Faustus diese Fertigkeit erfolgreich hatte einsetzen können, lag über ein Jahr zurück. Einem zahlenden Publikum mochte er diesen Trick noch gelegentlich vorgaukeln können – meist mit gedungenen Helfern, die sich als beeinflußte Opfer ausgaben –, doch in Wahrheit war es mit seinen Kräften nicht allzu weit her.
    »Du bist des Todes, mein Sohn«, sagte Asendorf und preßte die blutleeren Lippen aufeinander. Er mochte dies für ein Lächeln halten. »Du weißt es, und ich weiß es. Du stehst im Bund mit dem Widersacher. Du bist ein Verführer zum Bösen und ein Betrüger, wie es keinen anderen geben mag.«
    Faustus hob die Schultern und schwieg. Es hatte keinen Sinn, dem Inquisitor zu widersprechen. Vielmehr war er neugierig, was Asendorf ihm zu sagen hatte. Weshalb ordnete er nicht gleich eine erneute Hinrichtung an?
    »Dein Tod ist seit langem beschlossene Sache, und ich muß dir nicht sagen, daß es eigentlich nichts geben dürfte, daß mich von seiner Vollstreckung abhalten sollte.« Asendorf stützte sich mit dem rechten Ellbogen auf die Armlehne und begann erneut, über sein Kinn zu streichen. Mit der anderen tätschelte er dem Bibelzwerg den Kopf, der daraufhin eilig die Heilige Schrift aufschlug und mit tonlosen Mundbewegungen zu rezitieren begann. Kein Wort kam dabei über seine Lippen. Der Kleine war keinesfalls stumm, das wußte Faustus; offenbar wollte Asendorf seiner eigenen Rede durch das
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